Rz. 409
Zwar ist eine Anfechtung hier nicht allgemein wegen Motivirrtums möglich, jedoch berechtigt § 119 Abs. 2 BGB zur Anfechtung wegen Irrtums über verkehrswesentliche Eigenschaften der Erbschaft.
Rz. 410
Ein entsprechender Anfechtungsgrund ist etwa dann gegeben, wenn einem Erben bei Annahme der Erbschaft die testamentarische Berufung eines weiteren Miterben nicht bekannt ist. Hier kann er die Annahme wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses anfechten. Dies hat seinen Grund darin, dass in jedem Fall der Miterbe bis zur Erbteilung dinglich an allen Nachlassgegenständen mitberechtigt ist, selbst wenn sie ihm letzten Endes nicht zustehen (§§ 2032 ff., 2040 BGB). Ohne seine Zustimmung kann die Erbengemeinschaft auch hinsichtlich der den anderen Miterben zugedachten Nachlassgegenständen nicht auseinander gesetzt werden. Vor der Erbteilung steht ihm nämlich gemeinschaftlich mit den anderen Miterben die Verwaltung des gesamten Nachlasses zu. Ebenso kann der Miterbe zum Nachlass gehörende Ansprüche selbstständig geltend machen (§§ 2038, 2039 BGB). Schon im Hinblick auf diese Rechte ist die bei Annahme der Erbschaft unbekannte Berufung eines zusätzlichen Miterben ebenso als eine zur Anfechtung berechtigende verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses anzusehen wie die Beschränkung des Erben durch Testamentsvollstreckung oder Nacherbeneinsetzung, für die dies anerkannt ist.
Rz. 411
Zum Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft gehört nicht der Wert des Nachlasses, sondern lediglich dessen wertbildende Faktoren, also die Zusammensetzung des Nachlasses, insbesondere die Zugehörigkeit bestimmter Rechte zum Nachlass, die Art der Nachlassverbindlichkeiten, Auflagen und Beschränkungen des Erben, die Eigenschaft der konkreten Rechtsstellung, die dem Erben zugefallen ist, die Berufung eines weiteren Miterben usw. Ein weiteres Beispiel ist der Irrtum über den rechtlichen Bestand eines Vermächtnisses, das den Nachlass derart belastet, dass der Pflichtteil des Erben gefährdet wäre. Der Irrtum über den Wert einzelner Nachlassbestandteile (sowie auch der eines Vermächtnisses) ist dagegen nicht als Anfechtungsgrund anzusehen.
Zwei Fälle aus der Rechtsprechung zur Anfechtung der Annahme der Erbschaft durch Verstreichenlassen der Ausschlagungsfrist:
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BayObLG NJW-RR 1999, 590, 591: Nachträglich bekannt gewordene Einkommensteuerverbindlichkeiten, die nicht zur Überschuldung des Nachlasses geführt haben = Anfechtung nicht begründet; |
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OLG Düsseldorf NJWE-FER 1999, 242: Geschönte Bilanzen, deren Aufdeckung zu einer Überschuldung des Nachlasses geführt hat = Anfechtung der Erbschaftsannahme hatte Erfolg. |
Andererseits kann eine Anfechtung der Ausschlagung wegen Irrtums über nicht vorhandene Nachlassverbindlichkeiten erfolgen.
Dazu das KG im Beschluss v. 16.3.2004:
Zitat
"1. Ein Irrtum über die Zugehörigkeit von Rechten oder Verbindlichkeiten zum Nachlass kann gemäß §§ 119 II, 1954 I BGB zur Anfechtung einer Erbausschlagung wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses berechtigen, wenn er zur Vorstellung einer tatsächlich nicht bestehenden Überschuldung führt."
2. Für den Beginn der Anfechtungsfrist gemäß § 1954 II S. 1 BGB ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Anfechtende zuverlässige Kenntnis von den seinen Eigenschaftsirrtum begründenden Tatsachen erlangt.“
Rz. 412
Der Pflichtteilsberechtigte hat darüber hinaus gemäß § 2308 BGB einen weiteren Anfechtungsgrund, wenn die Beschränkung und Beschwerung zwischen Erbfall und Ausschlagung weggefallen war und der Pflichtteilsberechtigte hiervon keine Kenntnis hatte.
Rz. 413
Der BGH hat hierzu entschieden, dass die Ausschlagung durch den Pflichtteilsberechtigten gemäß § 2308 Abs. 1 BGB auch dann anfechtbar sein kann, wenn dieser nach der Ausschlagung eine ihn belastende Beschränkung oder Beschwerung durch Testamentsanfechtung mit Rückwirkung selbst beseitigt hat. In dem entschiedenen Fall wurde bemängelt, dass das Berufungsgericht die Testamentsanfechtung u.a. daran hatte scheitern lassen, dass der Kläger nur seine Verfügung, nicht aber diejenige der Erblasserin angefochten habe und dass er infolge der Ausschlagung seine Anfechtungsberechtigung verloren habe. Der Kläger hatte in dem entschiedenen Fall einer entsprechenden Vermächtnisanordnung der Erblasserin in einem gemeinschaftlichen Testament ausdrücklich zugestimmt. Insofern hat der BGH den Kläger selbst als Verfügenden dieses gemeinschaftlichen Testaments angesehen und entschieden, dass dieser durch die Ausschlagung der Erbschaft sein Anfechtungsrecht gerade nicht verloren habe. Dieses könne ihm nicht von vorneherein abgeschnitten werden, weil es sich insoweit um seine eigene, rechtsgestaltende und insofern verfügende Erklärung gehandelt habe. Als eigener, unmittelbarer rechtlicher Vorteil im Sinne von § 2080 BGB sei auch ein Gestaltungsrecht anzusehen. Als ein solches Recht komme auch ein etwaiges Recht darauf in Betracht, eine abgegebene Ausschlag...