Prof. Karl-Otto Bergmann, Dr. Carolin Wever
Rz. 116
Beim Schadenfall im Bereich der Arzthaftung kann zwischen dem (angeblichen) Behandlungsfehler und der Erkennbarkeit des Schadens bzw. der Geltendmachung von Ansprüchen ein jahrelanger Zeitraum liegen. Das zeitliche Auseinanderfallen von Behandlungsmaßnahme und Erkennbarkeit des Schadens bzw. Anspruchsanmeldung wird dann wichtig, wenn nicht für den gesamten Zeitraum Versicherungsschutz, überhaupt oder bei demselben Versicherer, besteht. In der Praxis sind schon Schadenanmeldungen kurz vor Ablauf der bislang geltenden allgemeinen Verjährungsfrist von 30 Jahren vorgekommen. Nach § 195 BGB beträgt die einheitliche Verjährungsfrist für vertragliche und deliktische Ansprüche drei Jahre. Allerdings beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist erst mit Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 BGB). Ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis verjähren Ansprüche wegen Personenschädigungen nach 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an (§ 199 Abs. 2 BGB). Es kann also weiterhin zu Anspruchsanmeldungen und Klagen Jahre und vielleicht erst Jahrzehnte nach der Behandlung kommen.
Rz. 117
Grob fahrlässige Unkenntnis steht beim Beginn der Verjährung gemäß § 199 Abs. 1 BGB der positiven Kenntnis gleich, anders als nach der alten Regelung zur Verjährung von deliktischen Ansprüchen. Nach der Rechtsprechung des BGH zur Kenntnis i.S.d. § 852 Abs. 1 BGB a.F. im Bereich der Arzthaftung musste der Geschädigte nicht nur die wesentlichen Umstände des Behandlungsverlaufs kennen, sondern auch Kenntnis von solchen Tatsachen erlangen, aus denen sich für ihn als medizinischen Laien ergab, dass der behandelnde Arzt von dem üblichen medizinischen Vorgehen abgewichen war oder Maßnahmen nicht getroffen hatte, die nach dem ärztlichen Standard zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich waren. Eine so weitgehende Kenntnis wird man nach der neuen Rechtslage nicht mehr fordern können. Ausreichend dürfte sein, dass der Geschädigte bei einem sich aufdrängenden Verdacht eines ärztlichen Kunstfehlers von der Möglichkeit keinen Gebrauch macht, die Behandlungsunterlagen einzusehen, und zwar zumindest in den Fällen, in denen er längere Zeit abwartet und die Einsicht die notwendige Aufklärung gebracht hätte. Angesichts der bislang patientenfreundlichen Rechtsprechung zur Kenntnis von Schaden und Schädiger ist aber keine allzu restriktive Anwendung des neuen Rechts in Arzthaftungsfällen zu erwarten, so dass auch in Zukunft mit dem Auftreten von Spätschäden zu rechnen ist.
Rz. 118
Folgender fiktiver Beispielsfall aus dem großschadensträchtigen Bereich der missglückten Sterilisation mag die besonderen Haftungsrisiken der Arzthaftpflichtversicherung verdeutlichen: Der Arzt ist bis Ende 1999 berufstätig und haftpflichtversichert. 1998 nimmt er eine sorgfaltswidrige Sterilisation vor. 2001 bringt die Frau ein gesundes, aber ungewolltes Kind zur Welt und nimmt den Arzt auf Schmerzensgeld wegen der unerwünschten Schwangerschaft und Geburt sowie auf Ersatz des Unterhaltes in Anspruch (vgl. auch das Klagemuster, siehe Rdn 199). Die Bejahung der Schadensersatzpflicht des Arztes bereitet keine Schwierigkeiten. Es stellt sich nur die Frage, ob seine (frühere) Berufshaftpflichtversicherung Deckungsschutz gewähren muss.