A. Typischer Sachverhalt
Rz. 1
Der Erblasser hinterlässt eine Ehefrau und zwei noch minderjährige Kinder. Nach dem gemeinschaftlichen Testament, das die Eheleute errichtet haben, ist gesetzliche Erbfolge eingetreten. Die Auseinandersetzung des Nachlasses soll frühestens mit einer etwaigen Wiederverheiratung der überlebenden Ehefrau vorgenommen werden. Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus zwei Wohnhäusern, von denen eines vermietet ist und das andere von der Familie bewohnt wird. Nach der Volljährigkeit der beiden Kinder gibt es Unstimmigkeiten über die Art und Weise der Verwaltung des Nachlassvermögens.
B. Gesamtrechtsnachfolge
I. Vermögensübergang – Gesamthandsgemeinschaft
1. Der Vonselbsterwerb
Rz. 2
Die Erben als Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers, § 1922 BGB (Universalsukzession), werden mit Eintritt des medizinischen Todes des Erblassers Inhaber aller vermögensrechtlichen Positionen, die dieser innehatte, gleichgültig, ob sie oder Einzelne von ihnen Kenntnis vom Tod des Erblassers oder gar vom Berufungsgrund haben.
Entscheidend ist auch nicht, ob die Erben die einzelnen Vermögensgegenstände kennen, deren Rechtsträger sie – gleichsam über Nacht – geworden sind. Es bedarf insbesondere nicht einer ausdrücklichen Annahme oder des "Antritts" der Erbschaft. Unabhängig davon kann jeder Erbe nach erfolgtem Anfall die Erbschaft – mit Rückwirkung auf den Erbfall – für seinen Anteil ausschlagen.
2. Übergang des Besitzes
Rz. 3
Kraft ausdrücklicher Regelung in § 857 BGB geht auch der Besitz auf den Erben über. Weil er eine rein faktische Position darstellt, wäre er vom universalen Rechtsübergang des § 1922 BGB nicht erfasst. Die Folge wäre, dass diejenigen Gegenstände, die der Erblasser in Besitz hatte, besitzlos würden und deshalb nicht vor verbotener Eigenmacht geschützt wären. Der Erbenbesitz setzt keine tatsächliche Sachherrschaft voraus.
Auch Verwaltungsbesitz geht auf die Erben über: Besitz aus Verwaltungsrecht als
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Beauftragter, |
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Testamentsvollstrecker, |
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Nachlassverwalter, |
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Pfleger oder |
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Insolvenzverwalter, |
nicht das Recht zur Verwaltung.
Mehrere Erben werden Mitbesitzer gem. § 866 BGB.
Ist das Guthaben eines Sparkontos auf den Erben übergegangen, so steht dem Erben auch das Recht zum Besitz des Sparbuchs zu, denn das Recht am Papier folgt gem. § 952 BGB dem Recht aus dem Papier. Nimmt einer der Miterben einen Nachlassgegenstand (z.B. ein Sparbuch) ohne Zustimmung der anderen Erben in Besitz, so begeht er damit verbotene Eigenmacht i.S.d. § 858 BGB. Jeder Miterbe kann Einräumung des Mitbesitzes gem. §§ 985, 861, 2039 BGB verlangen, bspw. auch gem. § 2039 S. 2 BGB Hinterlegung eines von einem Miterben an sich genommenen Sparbuchs des Erblassers in der Weise, dass nur alle Miterben gemeinsam die Rückgabe aus der Hinterlegung verlangen können.
Dieser Anspruch auf Einräumung des Mitbesitzes kann von den anderen Erben im Wege der einstweiligen Verfügung (Leistungsverfügung) geltend gemacht werden. Dabei sind sie nicht auf den Erlass einer Sicherungsverfügung – gerichtet auf Herausgabe an einen Sequester – beschränkt, vielmehr kann durch die Leistungsverfügung in Vorwegnahme der Hauptsache Einräumung des Mitbesitzes bzw. Hinterlegung verlangt werden. Die einstweilige Verfügung ersetzt allerdings nicht den Hauptsacheprozess. Als Verfügungsgrund genügt die Glaubhaftmachung von verbotener Eigenmacht. Besondere Dringlichkeit ist weder erforderlich noch glaubhaft zu machen.
3. Nichtrechtsfähigkeit der Erbengemeinschaft
Rz. 4
Die mehreren Erben organisiert das BGB als Gesamthandsgemeinschaft, an der jeder Miterbe mit einem bestimmten Anteil, seinem "Erbteil", beteiligt ist (§ 1922 Abs. 2 BGB). Eine gesetzliche Norm, aus der sich die Rechtsnatur der Erbengemeinschaft ablesen lassen könnte, kennt das BGB nicht. Allenfalls § 2033 Abs. 2 BGB, wonach der Miterbe über seinen Anteil am einzelnen Nachlassgegenstand nicht verfügen kann – entsprechend den Regeln bei der GbR und der Gütergemeinschaft in §§ 719 Abs. 1 und 1419 Abs. 1 BGB – kennzeichnet das Charakteristikum der Gesamthandsgemeinschaft.
Die seit dem Urteil des BGH vom 29.1.2001 (zur Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft) viel diskutierte Frage, ob auch die Erbengemeinschaft rechtsfähig sei, hat der BGH mit Urt. v. 11.9.2002 entschieden und im Beschl. v. 17.10.2006 bestätigt: Die Erbengemeinschaft ist nicht rechts- und nicht parteifähig.
Das Urt. v. 11.9.2002 erging zur Frage der Schriftform eines Mietvertrags gem. § 566 BGB a.F.
Dazu der BGH: Ein von einem Vertreter einer Erbengemeinschaft abgeschlossener Mietvertrag kann mangels Rechtsfähigkeit derselben nicht mit der Erbengemeinschaft als solcher, sonde...