Dr. Michael Nugel, Dipl.-Ing. André Schrickel
Rz. 104
Wurde während oder bereits zur Vorbereitung des anhängigen Prozesses ein Privatgutachten eingeholt, so hat sich das Gericht, sollten sich das Ergebnis dieses Privatgutachtens und des gerichtlichen Gutachtens widersprechen, mit diesen Widersprüchen auseinandersetzen. Dem Gerichtsgutachten darf daher nicht einfach ohne eine entsprechende Begründung der Vorzug gegeben werden, nur weil es sich bei dem anderen Gutachten um ein im Auftrag einer Partei eingeholtes Gutachten handelt. Unter Umständen ist daher dem gerichtlich bestellten Sachverständigen seitens des Gerichts aufzugeben, sich mit dem Ergebnis des Privatgutachtens auseinanderzusetzen.
Rz. 105
Hierzu bietet sich insbesondere die mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen nach § 411 Abs. 3 ZPO an, im Rahmen derer dem Sachverständigen das abweichende Ergebnis des Privatgutachtens vorgehalten werden kann. Eines Antrags der beweispflichtigen Partei bedarf es hierfür nicht. In einem solchen Fall bietet es sich aus Sicht der Partei, welche das Privatgutachten eingeholt hat, zu welchem sich der gerichtliche Sachverständige in Widerspruch gesetzt hat, an, den von der Partei eingeschalteten Sachverständigen an dem Termin zur Erläuterung des gerichtlichen Sachverständigengutachtens teilnehmen zu lassen, damit eine direkte Gegenüberstellung der Meinungen der Sachverständigen stattfinden kann.
Rz. 106
Muster 12.10: Berücksichtigung des Ergebnisses eines Privatgutachters
Muster 12.10: Berücksichtigung des Ergebnisses eines Privatgutachters
Legt eine Partei ein eigenes Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so ist vom Tatrichter besondere Sorgfalt gefordert. Er darf in diesem Fall – wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger – den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (ständige Rechtsprechung – siehe nur BGH, Beschl. v. 10.7.2018 – VI ZR 580/15 = NJW 2018, 3097; BGH, Beschl. v. 21.3.2014 – V ZR 204/12 = BeckRS 2013, 07392 und Beschl. v. 12.1.2011 – IV ZR 190/08 – juris).
Einwänden, die sich aus einem Privatgutachten gegen das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen ergeben, muss das Gericht nachgehen und insbesondere Widersprüche weiter aufklären. Dazu kann es den Sachverständigen zu einer schriftlichen Ergänzung seines Gutachtens veranlassen. Insbesondere bietet sich die mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen gemäß § 411 Abs. 3 ZPO an. Ein Antrag der beweispflichtigen Partei ist dazu nicht erforderlich (BGH, Beschl. v. 18.5.2009 – IV ZR 57/08 = NJW-RR 2009, 1192).
Zweckmäßigerweise hat das Gericht den Sachverständigen unter Gegenüberstellung mit dem Privatgutachter anzuhören, um dann entscheiden zu können, inwieweit es den Ausführungen des Sachverständigen folgen will (BGH, Beschl. v. 18.5.2009 – IV ZR 57/08 = NJW-RR 2009, 1192; BGH, Urt. v. 14.4.1981 – VI ZR 264/79 = BeckRS 1981, 30391648).
Rz. 107
Von besonderer praktischer Relevanz ist diesbezüglich auch die Frage, wer am Ende die Kosten für ein solches eingeholtes Privatgutachten, insbesondere wenn dieses während des Prozesses eingeholt wird, zu tragen hat.
Nach dem Grundsatz des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Maßgebliches Kriterium für die Erstattungsfähigkeit von Kosten, welche im Zusammenhang mit einem anhängigen Prozess entstanden sind, ist also die Frage, ob diese Kosten zweckentsprechend angefallen sind. Dies ist bei einem Privatgutachten dann der Fall, wenn eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte. Nicht vorausgesetzt wird hingegen, dass das Privatgutachten im Rahmen einer ex-post Betrachtung tatsächlich die Entscheidung des Gerichts beeinflusst hat oder überhaupt in den Rechtsstreit eingeführt worden ist.
Rz. 108
Muster 12.11: Antrag auf Festsetzung der Kosten für ein Privatgutachten
Muster 12.11: Antrag auf Festsetzung der Kosten für ein Privatgutachten
Die beantragten Sachverständigenkosten sind festzusetzen, da die Einschaltung des Sachverständigen zum Zeitpunkt seiner Beauftragung sachdienlich gewesen ist. Die Beurteilung der Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens hat sich jedenfalls daran auszurichten, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme ex-ante als sachdienlich ansehen durfte (BGH, Beschl. v. 20.12.2011 – VI ZB 17/11 = NJW 2012, 1370). Dies gilt insbesondere bei fehlender eigener Sachkunde einer Partei und einem komplexen Verfahrensinhalt (BGH, Beschl. v 12.9.2018 – VII ZB 56/15 – juris).
Die Erstattungsfähigkeit solcher Kosten...