Rz. 400
Im Schadensersatz-Rechtsschutz (§ 2 a ARB) ist Versicherungsfall das erste Ereignis, durch das der Schaden verursacht wurde oder verursacht worden sein soll. Die Verfasser der ARB haben sich für das Kausalereignis als Versicherungsfall entschieden (§ 4 Abs. 1 a ARB). In aller Regel fallen Schadenursache (z.B. Verkehrsunfall) und Schadeneintritt zeitlich zusammen. Fallen sie auseinander, ist auf die Schadenursache als Versicherungsfall abzustellen. Nach § 14 Abs. 1 S. 1 ARB 75 ist demgegenüber auf das dem Schadensersatzanspruch zugrunde liegende Schadenereignis, das sog. Folgeereignis, abzustellen. Dies ist der Vorgang, der den Schaden unmittelbar herbeiführt (Schadeneintritt).
Rz. 401
Während bei den ARB 75 der Vorteil besteht, dass das Folgeereignis mit dem Versicherungsfall in der Haftpflichtversicherung übereinstimmt, besteht insbesondere bei Großrisiken (z.B. Produkthaftungs-, Umweltrisiken) der Nachteil, dass sich der Versicherungsnehmer bei bereits angelegter Schadenursache vor Eintritt eines Schadens noch in das Risiko "hineinversichern" kann. Dieses Problem besteht nach den neueren ARB nicht; allerdings wirft das Kausalereignis als Versicherungsfall bei den ARB 94/2000/2008/2010 die Problematik auf, wie weit das Ereignis, an das angeknüpft wird, in die Vergangenheit zurückzuverlagern ist. Dies ist insbesondere problematisch bei vor Versicherungsbeginn fehlerhaft hergestellten Produkten, die später mitursächlich zu einem Schaden führen.
Rz. 402
Beispiel
Der Versicherungsnehmer wird bei einem Verkehrsunfall im Jahre 2004 geschädigt, bei dem sich jedenfalls mitursächlich ausgewirkt hat, dass die Fahrzeugbremsen des gegnerischen Pkw aufgrund eines Herstellungsfehlers (Baujahr 2002) nicht betriebssicher waren. Der Versicherungsnehmer möchte Ansprüche gegen den Halter gem. § 7 StVG geltend machen. Der Rechtsschutzvertrag besteht erst seit dem Jahre 2003. Würde in diesem Fall auf die Herstellung des fehlerhaften Fahrzeugs als erstes adäquat kausales Ereignis abgestellt, bestünde kein Versicherungsschutz.
Rz. 403
Zur Verhinderung einer derart weiten Rückverlagerung des maßgeblichen Versicherungsfalls hat der BGH im Jahre 2002 in einem Fall mit vereinbarten ARB 94 entschieden, dass für den Versicherungsfall nur Ursachen maßgeblich sind, die durch den Haftpflichtigen zurechenbar gesetzt wurden (d.h. nicht durch den Geschädigten selbst oder Dritte) und die "den Eintritt jedenfalls irgendeines Schadens nach der Lebenserfahrung hinreichend wahrscheinlich machen". Dadurch sind auch die Fälle mitursächlicher Produktionsfehler gedeckt, da allein auf das Verhalten des Haftpflichtigen abzustellen ist. Zudem sorgt die Definition des BGH dafür, dass Haftungsfall und Rechtsschutzversicherungsfall zeitlich nicht auseinanderdriften.
Rz. 404
In der zweiten grundlegenden Entscheidung zum Versicherungsfall im Schadensersatz-Rechtsschutz hat der BGH im Jahre 2003 bei vereinbarten ARB 75 entschieden, dass als Versicherungsfall nur maßgeblich ist ein Ereignis, "das geeignet ist, den Anspruch rechtlich zu begründen" und für das der Schädiger "in haftungsrechtlich zurechenbarer Weise verantwortlich ist". Auch in dieser Entscheidung wurde noch einmal darauf hingewiesen, dass folglich ein eigenes Verhalten des Geschädigten als erstes ursächliches Ereignis nicht in Betracht kommt.
Rz. 405
Hinweis
Nach der vorgenannten Entscheidung des BGH kommt es für den Eintritt des Versicherungsfalls allein darauf an, "mit welchem Tatsachenvortrag der Versicherungsnehmer den Schadensersatzanspruch begründet. Als frühestmöglicher Zeitpunkt kommt das dem Anspruchsgegner vorgeworfene pflichtwidrige Verhalten in Betracht, aus dem der Anspruch hergeleitet wird". Für den Anwalt bedeutet dies, dass er sein besonderes Augenmerk auf die Anspruchsbegründung legen muss. Denn eine Rechtsschutzdeckung kann erreicht werden, indem die Schadensersatzansprüche lediglich mit im versicherten Zeitraum liegenden Ereignissen begründet werden, selbst wenn weitere vorvertragliche Ereignisse zur Anspruchsbegründung in Betracht kämen. Die konsequente Anwendung der BGH-Rechtsprechung bedeutet, dass der Anwalt insoweit durch Beschränkung seiner Anspruchsbegründung den maßgeblichen Versicherungsfall selbst steuern kann!