Rz. 125
Der Versicherer kann mit dem Versicherungsnehmer auch in der Lebensversicherung vereinbaren, dass vorläufiger Versicherungsschutz – in §§ 49 ff. VVG vorläufige Deckung genannt – gewährt wird. Bei dem Vertrag über die Gewährung einer vorläufigen Deckung handelt es sich gem. § 49 Abs. 1 S. 1 VVG um einen selbstständigen Versicherungsvertrag. Die Parteien bezwecken damit, dem Versicherungsnehmer für die Zeit bis zur Annahme oder endgültigen Ablehnung des Antrags Versicherungsschutz zu gewähren. Der Unterschied zur Rückwärtsversicherung besteht darin, dass im Rahmen des vorläufigen Versicherungsschutzes unabhängig vom Zustandekommen des endgültigen Versicherungsvertrages (Hauptvertrag) Versicherungsschutz besteht, während die Rückwärtsversicherung die Gewährung des Versicherungsschutzes von dem Zustandekommen der Lebensversicherung abhängig macht.
Rz. 126
Beachte
Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung über Vorerkrankungen bei Antragstellung soll nicht zur Nichtigkeit des selbstständigen Versicherungsvertrags über die Gewährung vorläufiger Deckung führen, wenn der Versicherer sofortigen Versicherungsschutz ab Antragseingang gewährt. Der Versicherer habe damit das Risiko ohne jedwede Prüfung der von ihm in dem Versicherungsantrag gestellten Fragen übernommen. Auch komme ein Rücktritt vom Vertrag über die Gewährung vorläufiger Deckung nicht in Betracht. Frage der Versicherer nach Vorerkrankungen, verspreche er aber gleichzeitig sofortigen Versicherungsschutz ab Antragseingang, also Deckung zu einem Zeitpunkt, zu dem er die Antworten des Versicherungsnehmers auf die vom Versicherer gestellten Fragen noch gar nicht kennen und geprüft haben könne, sei offenkundig, dass er bereit sei, das Risiko vorläufiger Deckung ohne jede Risikoprüfung zu übernehmen. Fragen, deren Beantwortung für die Gewährung vorläufiger Deckung keine Bedeutung haben, können keine für den Abschluss des Vertrages über vorläufige Deckung gefahrerheblichen Umstände betreffen. Offen gelassen hat das OLG Saarbrücken, ob sich etwas anderes ergeben würde, wenn der beklagte Versicherer vorgetragen hätte, die arglistige Täuschung des Antragstellers über gefahrerhebliche Umstände habe ihn davon abgehalten, den beantragten (Haupt-)Versicherungsvertrag alsbald – vor Eintritt des Versicherungsfalls – endgültig scheitern zu lassen und damit auch den Schutz aus der vorläufigen Deckung zu beenden. Möglich ist jedoch, dass ein besonderer Risikoausschluss des Versicherungsvertrags über vorläufige Deckung greift (vgl. Rdn 190) bzw. dass die Leistung aus der vorläufigen Deckung der Höhe nach begrenzt ist.
Rz. 127
Der Inhalt des Vertrages über vorläufigen Versicherungsschutz richtet sich nach den Vereinbarungen der Parteien, insbesondere nach den bei Vertragsschluss übermittelten Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Für den Fall, dass die Allgemeinen Versicherungsbedingungen dem Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss nicht ausgehändigt werden, enthält § 49 Abs. 2 S. 1 VVG die Sonderregelung, dass in diesem Fall die vom Versicherer zu diesem Zeitpunkt für den vorläufigen Versicherungsschutz üblicherweise verwendeten Bedingungen Vertragsbestandteil werden. Bei Fehlen solcher Bedingungen wiederum werden die für den Hauptvertrag vom Versicherer verwendeten Bedingungen Vertragsbestandteil des Vertrags über die Gewährung vorläufiger Deckung.
Soweit Zweifel bestehen, welche Bedingungen für den Vertrag über die Gewährung vorläufiger Deckung gelten sollen, ist in § 49 Abs. 2 S. 2 VVG geregelt, dass im Zweifel diejenigen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vom Versicherer verwendeten Bedingungen Vertragsbestandteil werden, die für den Versicherungsnehmer am günstigsten sind.
Rz. 128
Beachte
Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine Klausel in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung, nach der vorläufiger Versicherungsschutz spätestens zwei Monate nach Unterzeichnung endet, wegen Verstoßes gegen § 9 AGB-Gesetz (nunmehr: § 307 BGB) unwirksam. Eine strikte Befristung des vorläufigen Versicherungsschutzes in Allgemeinen Versicherungsbedingungen ist demnach unzulässig.
Ebenso ist nach der Rechtsprechung eine Klausel in den Allgemeinen Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung unwirksam, wonach die Leistungspflicht ausgeschlossen ist für Versicherungsfälle aufgrund von Ursachen, die vor Unterzeichnung des Antrags erkennbar geworden sind, auch wenn diese im Antrag angegeben wurden. Zur Begründung führt der BGH an, dass mit der Wendung "Versicherungsfälle aufgrund von Ursachen" jeder Umstand erfasst werde, der für den Eintritt des Versicherungsfalls ursächlich, wenn auch mitursächlich geworden sei. In dieser Auslegung schränke die Klausel die wesentlichen Rechte des Versicherungsnehmers aus dem Vertrag über den vorläufigen Versicherungsschutz so sehr ein, dass der Vertragszweck gefährdet werde (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG; heute: § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB).