Rz. 234
Gemäß § 251 Abs. 2 S. 2 BGB ist die Heilbehandlung eines verletzten Tieres nicht schon dann unverhältnismäßig, wenn sie dessen Wert erheblich übersteigt. Entscheidend sind insoweit letztlich die Umstände des Einzelfalls. Auf das Affektionsinteresse des Eigentümers kommt es im Prinzip nicht an, doch kann dieses bei der Bewertung durchaus in den Blick zu nehmen sein. Maßgebend sollte sein, was ein verständiger Tierhalter in der konkreten Lage des Geschädigten ohne den Ersatzanspruch an Heilbehandlungskosten aufgewendet hätte (vgl. auch § 1332a österr. ABGB). Allerdings bedarf dieser Maßstab einer Objektivierung. Insoweit soll auf den Wert des Tieres, also ein objektives Kriterium, abgestellt werden können. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist im Fall der Verletzung eines Tieres § 251 Abs. 2 S. 2 BGB allerdings dahin auszulegen, dass die aus der Heilbehandlung des Tieres entstandenen Aufwendungen nicht bereits dann unverhältnismäßig sind, wenn sie dessen Wert erheblich übersteigen. Zur Ermittlung der noch verhältnismäßigen Heilbehandlungskosten bedarf es vielmehr stets einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände des konkreten Einzelfalls seitens des Tatrichters, wobei auch das individuelle Verhältnis zwischen dem Geschädigten und dem verletzten Tier von Bedeutung sein kann. Dass das Alter und der Gesundheitszustand des Tieres, die gefühlsmäßige Bindung des Halters, die Vertretbarkeit der Heilbehandlungskosten aus tiermedizinischer Sicht sowie das Verschulden des Schädigers zu berücksichtigen sind, dürfte nicht in Frage zu stellen sein. Bei Tieren, die keine Sachen sind, ist die Verhältnismäßigkeitsschwelle auf jeden Fall höher als bei 130 % anzusetzen; bei einem verletzten Hund mit einem nicht ganz geringen Marktwert, kann die Verhältnismäßigkeitsschwelle trotz eines extrem hohen Affektionsinteresse des Halters mit dem sechsfachen Wert anzusetzen sein.
Rz. 235
Im Fall der Verletzung eines Tieres kann der Schädiger den Geschädigten bei unverhältnismäßig hohen Heilbehandlungskosten nicht gem. § 251 Abs. 2 S. 1 BGB auf Wertersatz in Geld verweisen; der Schädiger schuldet dem Geschädigten vielmehr – in Ausnahme von dieser Vorschrift – Ersatz der noch als verhältnismäßig zu erachtenden Tierbehandlungskosten.
Rz. 236
Heilbehandlungskosten bis zum Doppelten des unverminderten Anschaffungswertes für einen Schäferhund sind noch nicht als unverhältnismäßig angesehen worden. Bei einem wertvollen Rassehund, der mit großem Zeitaufwand ausgebildet wurde, wurden Heilungskosten von 12.000 EUR nicht als unverhältnismäßig bewertet. Das OVG Lüneburg hat den Anspruch eines Tierarztes aus §§ 677, 683, 670 BGB in Höhe von ca. 1.800 EUR für die tierärztliche Behandlung und anschließende Unterbringung eines bei einem Verkehrsunfall verletzten herrenlosen Katers nicht für übersetzt gehalten.
Weitere Entscheidungen:
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5.500 DM Behandlungskosten für einen Mischlingshund, der für 100 DM angeschafft worden war; |
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5.000 DM für einen relativ wertlosen Mischlingshund; |
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4.000 DM für einen reinrassigen Yorkshire-Terrier bei einem Anschaffungspreis von 850 DM; |
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3.000 DM für eine Katze. |
Rz. 237
Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der zu ersetzenden Heilbehandlungskosten eines überwiegend im Affektionsinteresse gehaltenen verletzten Tieres ist der Wert des Tieres nicht mit einem Altersabschlag ("Abschreibung") anzusetzen, wie sie bei der Bewertung unter Züchtergesichtspunkten vorgenommen wird. Es würde der Zielrichtung des Art. 20a GG, der den Tierschutz als Staatsziel postuliert, kaum gerecht, wenn ein älteres Tier, das für seinen Halter im Alter nach wie vor wertvoll ist, schadensersatzrechtlich als vollständig "abgeschrieben" angesehen werden müsste, so dass keinerlei Heilbehandlungskosten ersatzpflichtig wären.
Rz. 238
Es besteht kein Schadensersatzanspruch auf Erstattung der Unterhalts- und Unterstellkosten für ein Pferd bei Verlust der Gebrauchsmöglichkeit als Reitpferd nach einem Verkehrsunfall, durch den das Pferd verletzt worden war.
Rz. 239
Eine dem § 251 Abs. 2 S. 2 BGB entsprechende Regelung enthält beispielsweise auch § 16 UmweltHG für ökologische Schäden.