Dr. Stephan Pauly, Michael Pauly
Rz. 34
Wird – wie meist – nur ein schwacher vorläufiger Verwalter bestellt, so behält der Schuldner vollumfänglich die Arbeitgeberrolle mit sämtlichen Rechten und Pflichten. Diese sind i.d.R. nur durch einen Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Alt. 2 InsO insoweit eingeschränkt, als Verfügungen über das schuldnerische Vermögen nur mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters wirksam sind. Alle Handlungen dagegen, die keinen Verfügungscharakter haben, dürfen allein von dem alten Management vorgenommen werden und sind insoweit auch wirksam.
Praxishinweis
Bisweilen wird vom Gericht auch ein schwacher vorläufiger Verwalter bestellt, dem im Beschluss pauschal die "Arbeitgeberbefugnisse" übertragen werden.
Eine Ausnahme gilt nur, wenn dem schwachen vorläufigen Verwalter im gerichtlichen Bestellungsbeschluss die Arbeitgeberbefugnis zugesprochen wird (vgl. Muster unter Rdn 148).
Rz. 35
Für die arbeitsrechtliche Praxis bedeutet dies:
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Das alte Management ist in sämtlichen Angelegenheiten nach wie vor zuständig, der Geschäftsführer bzw. der Schuldner übt nach wie vor die Arbeitgeberfunktion aus. |
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Im Fall eines angeordneten Zustimmungsvorbehalts bedarf das alte Management für den wirksamen Ausspruch einer Kündigung gleichwohl der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters. Nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen ist unter einer Verfügung ein Rechtsgeschäft zu verstehen, durch das der Verfügende unmittelbar auf ein Recht einwirkt, indem er es aufhebt, überträgt, belastet oder inhaltlich verändert. Unter Rückgriff auf diese allgemeinen Maßstäbe ist nach der Rechtsprechung des BAG auch bei einer Kündigung von einer Verfügung auszugehen, da durch sie unmittelbar auf das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eingewirkt wird. |
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Nach Auffassung des BAG ist sogar die höchstpersönlich erteilte, schriftliche Zustimmung erforderlich. Eine Zustimmung durch eine beauftragte Person ("pro abs.") reiche nicht, mit der Folge, dass die Kündigung unwirksam ist. Die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters ist in schriftlicher Form beizufügen, andernfalls kann sie nach § 182 Abs. 3 BGB i.V.m. § 111 S. 2 BGB zurückgewiesen werden. |
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Finanzielle Ansprüche aus einer fehlerhaften Kündigung oder Sozialplanansprüche werden aber trotz korrekter Zustimmung des vorläufigen Verwalters nicht Masseverbindlichkeiten, sondern müssen zur Tabelle angemeldet werden. |
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Hat das Gericht die Verfügungsbefugnis in seinem Beschluss insoweit auf den vorläufigen Verwalter übertragen, so ist die Kündigungsschutzklage gleichwohl gegen das Schuldnerunternehmen zu richten. |
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Der Schuldner bleibt auch Prozesspartei hinsichtlich der anhängigen Prozesse. |
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Neueinstellungen, Gehaltszusagen etc. des Schuldners sind in jedem Fall nur wirksam, wenn der vorläufige Verwalter zugestimmt hat. |
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Zeugnisse, Arbeits- und Verdienstbescheinigungen etc. hat das alte Management auszustellen. |
Rz. 36
Der künftige Vertragspartner muss deshalb darauf achten, ob der vorläufige Verwalter in nachweisbarer Form der Begründung seines Arbeitsverhältnisses, einer Gehaltszusage oder -erhöhung etc. des alten Managements zugestimmt hat. Hat er das nicht getan, so war die Verfügung unwirksam; etwa bereits ausgezahlte Gelder sind zurückzuzahlen, da sie ohne Rechtsgrund geleistet wurden. Auf mangelnde Kenntnis kann der Vertragspartner sich nicht berufen, da der Zustimmungsvorbehalt gem. § 9 InsO veröffentlicht und damit absolut wirksam wird.
Rz. 37
In der Praxis sind in dieser Phase jedoch zumeist keine Kündigungen zu erwarten, sofern eine Fortführung – wenn auch nur vorübergehend – in Betracht kommt. Denn die Finanzierung der Arbeitskraft wird für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten bis zur Eröffnung oder zur Abweisung mangels Masse über das Insolvenzgeld (siehe Rdn 42 ff.), also von dritter Seite, sichergestellt. Erst nach der Eröffnung, wenn absehbar ist, dass die Arbeitskraft nicht weiter benötigt wird, ist es sinnvoll, Kündigungen auszusprechen. Dann kann der Verwalter im Übrigen auch die verkürzten Kündigungsfristen des § 113 InsO nutzen, auf die später einzugehen sein wird (siehe Rdn 77 ff.).
Rz. 38
Sobald der vorläufige Verwalter also den Personalbestand selbst gestalten will, wird er sich u.a. auch, um Klarheit über die Befugnisse herzustellen, eine entsprechende, auf ihn allein lautende Kündigungsermächtigung vom Gericht erteilen lassen (vgl. Muster unter Rdn 148; die Ermächtigung wurde hier von vornherein in den Beschluss zur Anordnung von Sicherungsmaßnahmen aufgenommen). Das Gericht wird darauf zu achten haben, dass es gleichzeitig mit der Spezialermächtigung dem Schuldnerunternehmen insoweit ein Verfügungsverbot erteilt.
Rz. 39
Der vorläufige Verwalter genießt in dieser Phase, was die Kündigungsfristen betrifft, allerdings keinerlei Privilegien; die vertraglichen, tarifvertraglichen bzw. gesetzlichen Kündigungsfristen des § 622 BGB finden ohne Einschränkungen Anwendung.