Rz. 175

Die Einlegung der Berufung "nur zur Fristwahrung" ist kein Verstoß gegen das Verbot der bedingten Rechtsmitteleinlegung. Der Berufungsführer bringt mit dem Zusatz lediglich zum Ausdruck, dass er sich erst einmal überlegen möchte, ob das Berufungsverfahren tatsächlich durchgeführt werden soll. Nimmt der Berufungskläger die "nur zur Fristwahrung" eingelegte Berufung zurück, muss das Berufungsgericht von Amts wegen nach § 516 Abs. 2 ZPO über die Kosten des Berufungsverfahrens entscheiden.

 

Rz. 176

 

Hinweis

Den Hintergrund der Berufungseinlegung "zur Fristwahrung" bilden kostenrechtliche Erwägungen. Es entsteht dann im Falle der Berufungsrücknahme vor der Begründung Streit über die Erstattungsfähigkeit der Anwaltskosten des Berufungsbeklagten.[266] Zwischenzeitlich hat der BGH entschieden, dass der Berufungskläger, der die Berufung nur zur Fristwahrung eingelegt hat und sie vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist zurücknimmt, dem Berufungsbeklagten gem. §§ 2 Abs. 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3201 VV zur Kostenerstattung einer 1,1-Gebühr für einen zu diesem Zeitpunkt bereits beauftragten zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten selbst dann verpflichtet ist, wenn dieser zuvor von dem Bevollmächtigten des Berufungsklägers gebeten worden ist, sich noch nicht zu bestellen, denn die mit einem Rechtsmittel überzogene Partei kann regelmäßig nicht selbst beurteilen, was zur Rechtsverteidigung sachgerecht zu veranlassen ist, so dass ihr nicht zugemutet werden soll, zunächst die weiteren Entschließungen des anwaltlich vertretenen Berufungsklägers abzuwarten.[267] Das Stellen eines Zurückweisungsantrags, der eine 1,6-Verfahrensgebühr auslöst, ist erst nach Eingang einer Berufungsbegründung notwendig. Das gilt auch, wenn das Berufungsgericht darauf hingewiesen hat, dass es beabsichtigt, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, und der Berufungskläger hiergegen Einwände erhoben hat. Ein in dieser Prozesslage gestellter begründeter Antrag auf Zurückweisung der Berufung löst daher grundsätzlich die 1,6 Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV-RVG aus.[268] Wird der Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels bereits vor Zustellung der Rechtsmittelbegründung gestellt, das Rechtsmittel aber dann begründet, ist eine 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG VV unabhängig davon erstattungsfähig, ob das Verfahren später durch Rücknahme, durch Sachentscheidung oder in sonstiger Weise beendet wird.[269] Die durch die Einreichung einer Berufungserwiderung nach Berufungsrücknahme entstandenen Kosten eines Rechtsanwalts sind aber grundsätzlich nicht erstattungsfähig; dies soll nach einer – vielfach kritisierten – Entscheidung des III. Zivilsenats des BGH auch dann gelten, wenn der Berufungsbeklagte die Rechtsmittelrücknahme nicht kannte oder kennen musste.[270] Hingegen hat der XII. Zivilsenat des BGH (überzeugend) entschieden, bei mit einem Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO gesetzter Berufungserwiderungsfrist und dem Einreichen einer Berufungserwiderung nach Berufungsrücknahme, seien die hierdurch entstandenen Kosten nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO erstattungsfähig, wenn der Berufungsbeklagte sich bei der Einreichung in nicht vorwerfbarer Unkenntnis von der Rücknahme der Berufung befunden habe.[271] Auf Anfrage des XII. Zivilsenats hat der III. Zivilsenat mitgeteilt, seine Rechtsauffassung sei wohl teilweise missverstanden worden. Er habe nicht auf einen rein objektiven Maßstab abgestellt. Entscheidend sei, ob die konkrete Maßnahme aus der Perspektive einer vernünftigen und sparsamen Partei als objektiv geeignet erscheine. In seinem Fall sei im Hinweisbeschluss keine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt worden. Der Fall des XII. Zivilsenats liege wegen der gesetzten Berufungserwiderungsfrist anders.[272]

 

Rz. 177

Die Kostenerstattungspflicht entfallen lassen kann ein sog. Stillhalteabkommen.[273] Dieses kann zustande kommen, wenn der Berufungskläger den Prozessbevollmächtigten des Berufungsbeklagten darum bittet, vorerst keine kostenauslösenden Maßnahmen zu veranlassen und sich keinen Vertretungsauftrag für das Berufungsverfahren erteilen zu lassen, weil die Berufung zunächst nur fristwahrend eingelegt werden soll, und hierauf eine entsprechende Einigung erfolgt. Das bloße Schweigen auf eine Stillhaltebitte lässt ein Stillhalteabkommen allerdings regelmäßig nicht entstehen.[274]

 

Rz. 178

 

Hinweis

Für die Praxis bleibt es empfehlenswert:

die Berufungseinlegung im Falle der noch ausstehenden Entscheidung über die Durchführung des Berufungsverfahrens mit dem Zusatz zu versehen, dass die Berufungseinlegung nur "zur Fristwahrung" erfolgt,
gleichzeitig den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Berufungsbeklagten mit der Bitte anzuschreiben, keine kostenauslösenden Maßnahmen zu veranlassen, solange nicht feststeht, ob das Berufungsverfahren tatsächlich durchgeführt werden soll und das Einverständnis hierzu zu erklären.[275]
[266] Vgl. hierzu auch Schneider/Wolf/Schneider, Nr. 3201 VV-RVG Rn 59 ff.
[267] BGH NJW 2003, 756, 757.
[269] B...

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