Dr. iur. Martin Nebeling, Manfred Ehlers
Rz. 443
Ähnlich wie krankheitsbedingte Ausfallzeiten können sich auch Zeiten der Elternzeit (§§ 15, 16 BEEG) oder der Beschäftigungsverbote während der Mutterschutzfristen (§§ 3, 6 MuSchG) mindernd auf einen Sonderzahlungs- oder Gratifikationsanspruch auswirken. Auch insoweit hängt es von der jeweiligen Rechtsgrundlage und dem Sinn und Zweck der Gratifikation ab, ob eine Ausschluss- oder Kürzungsmöglichkeit besteht.
(1) Arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlung
Rz. 444
Handelt es sich um eine reine arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlung, kann der Arbeitgeber auch ohne entsprechende Vereinbarung die Sonderzahlung im Verhältnis zu der im Bezugszeitraum erbrachten Arbeitsleistung herabsetzen. Da diese Sonderzahlung einen Vergütungsbestandteil darstellt, der in das vertragliche Austauschverhältnis von Vergütung und Arbeitsleistung eingebunden ist und mit dem kein weiter gehender Zweck verfolgt wird, entsteht der Anspruch nicht für die Zeit der Elternzeit. Es bedarf keiner vertraglichen Kürzungsregelung (EuGH v. 21.10.1999 – C 333/97; BAG v. 19.4.1995 – 10 AZR 49/94; BAG v. 24.10.1990 – 6 AZR 156/89; LAG Rheinland-Pfalz v. 13.1.2005 – 6 Sa 726/04). Während der Elternzeit sind die gegenseitigen Hauptleistungspflichten im Arbeitsverhältnis suspendiert. Das Arbeitsverhältnis ruht während der Zeit der Elternzeit (BAG v. 19.4.1995 – 10 AZR 49/94; BAG v. 8.12.1993 – 10 AZR 66/93; BAG v. 10.2.1993 – 10 AZR 482/91).
Rz. 445
Etwas anderes gilt allerdings für Zeiten, die wegen eines Beschäftigungsverbotes während der Mutterschutzfristen zu einer Abwesenheit der Arbeitnehmerin führen (EuGH v. 21.10.1999 – C 333/97; BAG v. 10.12.2008 – 10 AZR 35/08; BAG v. 2.8.2006 – 10 AZR 425/05; BAG v. 25.11.1998 – 10 AZR 595/97; vgl. aber auch: BAG v. 15.4.2003 – 9 AZR 137/02). Die Mutterschutzfristen gelten wegen des Geschlechtes und vermögen deshalb die Vereinbarung einer geringeren Vergütung nicht zu rechtfertigen. Nach Art. 4 RL 2006/54/EG ist umfassend sicherzustellen, dass mit dem Grundsatz des gleichen Entgeltes unvereinbare Bestimmungen in Tarifverträgen, Lohn- und Gehaltstabellen oder Einzelverträgen nichtig sind oder für nichtig erklärt werden können (vgl. BAG v. 2.8.2006 – 10 AZR 425/05).
(2) Sonderzahlung mit Mischcharakter bzw. ausschließlich für Betriebstreue
Rz. 446
Demgegenüber ist eine ausdrückliche Quotelungsregelung erforderlich, um Zeiten der Elternzeit anspruchsschmälernd berücksichtigen zu dürfen, wenn eine Gratifikation mit Mischcharakter vorliegt, die neben der im Bezugszeitraum geleisteten Arbeit auch die erwiesene Betriebstreue belohnen soll. Der Zweck einer Gratifikation oder Sonderzahlung, der bei der Auslegung der konkreten Regelung zu berücksichtigen ist, schafft für sich genommen allein keine Ausschluss- oder Kürzungsmöglichkeiten während der Elternzeit. Daher darf der Arbeitgeber eine Kürzung der Gratifikation für Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis wegen Elternzeit ruht, nur dann vornehmen, wenn dies ausdrücklich durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelvertrag vereinbart ist (BAG v. 11.4.2000 – 9 AZR 225/99; BAG v. 12.1.2000 – 10 AZR 840/98; BAG v. 14.8.1996 – 10 AZR 70/96; BAG v. 10.5.1995 – 10 AZR 648/94). Macht eine Gratifikationsregelung den Anspruch lediglich vom ungekündigten rechtlichen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängig und enthält sie auch keine Bestimmung, dass für Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis ruht, der Anspruch entfällt oder zu kürzen ist, so ist die Gratifikation auch für die Zeit der Elternzeit zu zahlen (BAG v. 10.12.2008 – 10 AZR 35/08; BAG v. 14.8.1996 – 10 AZR 70/96; LAG Saarland v. 22.4.2015 – 2 Sa 103/14).
Rz. 447
Regelungen, die Arbeitnehmer vom Anspruch auf eine Sonderzahlung ausnehmen, die sich in der Elternzeit befinden, verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht. Weder ist ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 4 GG, gegen § 15 Abs. 4 BEEG oder § 612a BGB anzunehmen (BAG v. 24.10.1990 – 6 AZR 156/89), noch liegt ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 157 AEUV vor (BAG v. 15.4.2003 – 9 AZR 137/02; BAG v. 12.1.2000 – 10 AZR 840/98; BAG v. 6.12.1995 – 10 AZR 198/95; BAG v. 24.5.1995 – 10 AZR 619/94; BAG v. 28.9.1994 – 10 AZR 697/93; BAG v. 24.11.1993 – 10 AZR 704/92).
Rz. 448
Bei Sonderzahlungen zur ausschließlichen Honorierung der Betriebstreue ist eine Kürzung unzulässig. Allein maßgeblich ist der Bestand des Arbeitsverhältnisses. Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses ändert nichts an seinem Bestand (vgl. BAG v. 10.12.2008 – 10 AZR 35/08).
(3) Ruhensregelung
Rz. 449
Vielfach enthalten Gratifikationsregelungen eine Kürzungsmöglichkeit für den Fall des Ruhens des Arbeitsverhältnisses. Liegt eine solche Regelung vor, entsteht für den Zeitraum der Elternzeit kein Gratifikationsanspruch. Auch wenn die Gratifikationsregelung vorsieht, dass eine Sonderzahlung für Zeiten gekürzt werden kann, in denen das Arbeitsverhältnis "kraft Gesetzes" ruht, kann die Sonderzahlung dem Grunde nach für die Zeit der Elternzeit gekürzt werden (BAG v. 24.5.1995 – 10 AZR 619/94; BAG v. 24.11.1993 – 10 AZR 704/92; BAG v. 10.2.1993 – 10 AZR 450/91).
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