Rz. 108

Ein unterhaltsberechtigtes volljähriges Kind im Rang dem minderjährigen Kind gleichsteht (im ersten Rang gem. § 1609 Nr. 1 BGB), wenn es zum Kreis der sog. privilegierten Volljährige zählt.

1. Voraussetzungen

 

Rz. 109

Das Kind muss noch im Haushalt der Eltern – oder eines Elternteils – leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden (sog. "Schulbesuchende Hauskinder").

Für eine allgemeine Schulausbildung sind 3 Faktoren maßgeblich[142]

Ausbildungsziel: Der Schulbesuch muss auf den Erwerb eines allgemeinen Schulabschlusses zielen, der Zugangsvoraussetzung für die Aufnahme einer Berufsausbildung oder den Besuch einer Hochschule oder Fachhochschule ist. Dies ist bei einem Hauptschulabschluss, dem Realschulabschluss und den verschiedenen Formen der Hochschulreife immer der Fall.
zeitliche Beanspruchung des Schülers: Die Schulausbildung muss die Zeit und die Arbeitskraft des Kindes voll oder zumindest überwiegend in Anspruch nehmen. Eine Erwerbstätigkeit, durch die der Schüler seinen Lebensunterhalt verdienen könnte, darf neben der Schulausbildung also nicht möglich sein.
Organisationsstruktur der Schule: Die Schulausbildung setzt die Teilnahme an einem kontrollierten Unterricht voraus; sie darf nicht der freien Entscheidung des Schülers überlassen bleiben.
[142] BGH v. 10.5.2001 – XII ZR 108/99, FamRZ 2001, 1068; BGH v. 9.1.2002 – XII ZR 34/00, NJW 2002, 2026–2029; Einzelheiten zu der nicht ganz einheitlichen Rechtsprechung siehe Viefhues, in jurisPK-BGB, § 1603 BGB Rn 1229 ff.

2. Auswirkungen

 

Rz. 110

Die sog. privilegierten volljährigen Kinder werden den minderjährigen Kindern gleichgestellt. Dies bedeutet auch, dass ihnen gegenüber eine verschärfte unterhaltsrechtliche Haftung gem. § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB besteht. Jedoch sind auch gegenüber diesen privilegierten volljährigen Kindern beide Eltern anteilig barunterhaltspflichtig.[143] Dazu siehe oben Rdn 81.

Bei gesteigerter Unterhaltspflicht werden an die Erwerbsobliegenheit des Unterhaltspflichtigen besonders strenge Anforderungen gestellt. Dazu siehe § 18 Rdn 16.

 

Rz. 111

In der Praxis hat dies vor allem Bedeutung für die Nebentätigkeitsobliegenheit des Unterhaltspflichtigen.[144] Zudem kann der Unterhaltspflichtige sich gegenüber diesem Anspruch des volljährigen Kindes nur auf den – niedrigeren – notwendigen Selbstbehalt von derzeit 1.080 EUR berufen, während gegenüber anderen volljährigen Kindern der – höhere – angemessene Selbstbehalt von 1.300 EUR gilt.[145]

 

Rz. 112

Wird der Unterhaltspflichtige von seinem erwachsenen Kind, das seine bereits erlangte wirtschaftliche Selbstständigkeit wieder verloren hat, auf Unterhalt in Anspruch genommen, so kann ihm und seiner Ehefrau im Regelfall ein Familienselbstbehalt zugebilligt werden, wie ihn die Düsseldorfer Tabelle und die Unterhaltsrechtlichen Leitlinien für den Elternunterhalt vorsehen.[146]

 

Rz. 113

 

Praxistipp:

Auf Seiten des unterhaltsberechtigten Kindes ist von besonderer Bedeutung, dass der privilegierte Volljährige im Rang dem minderjährigen Kind gleichsteht (im ersten Rang gem. § 1609 Nr. 1 BGB).
Dagegen bekommen die anderen volljährigen Kinder erst den 4. Rang eingeräumt (§ 1609 Nr. 4 BGB).
Trifft ein privilegiertes volljähriges Kind mit einem minderjährigen Kind zusammen, sind Besonderheiten bei der Berechnung zu beachten.[147]
Für privilegierte Volljährige gilt die Zuständigkeitsvorschrift des § 232 Abs. 1 Nr. 2 FamFG (Zuständigkeit des Gerichts am Aufenthaltsort des Kindes).
Es erfolgt auch keine Gleichbehandlung privilegierter volljähriger Kinder mit minderjährigen Kindern im Vollstreckungsrecht im Rahmen des § 850d ZPO.[148]
[143] BGH v. 12.1.2011 – XII ZR 83/08; BGH v. 31.10.2007 – XII ZR 112/05, juris Rn 19, 43, FamRZ 2008, 137; BGH v. 9.1.2002 – XII ZR 34/00, NJW 2002, 2026–2029; OLG Dresden v. 27.10.1998 – 10 ARf 34/98, NJW 1999, 797–798; OLG Karlsruhe v. 24.2.1998 – 18 UF 114/97, FamRZ 1999, 45–46; OLG Düsseldorf v. 22.1.1999 – 3 WF 231/98, AnwBl 1999, 296; OLG Hamm v. 25.2.2000 – 12 UF 166/99, OLGR Hamm 2000, 159–161; OLG Bremen v. 15.10.1998 – 5 WF 99/98, OLGR Bremen 1999, 48; a.A. OLG Naumburg v. 16.8.1999 – 8 UF 248/98, FamRZ 2001, 371; OLG Rostock v. 19.9.2001 – 10 UF 304/00, FamRZ 2002, 696–697.
[144] Dazu BGH NJW 2011, 1874 = FamRZ 2011, 1041; OLG Köln FamRZ 2012, 314–315;
[145] BGH v. 12.1.2011 – XII ZR 83/08, NJW 2011, 670 mit Anm. Born = FamRZ 2011, 454 mit Anm. Finke.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge