Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 379
Der Begriff der Betriebszugehörigkeit kennzeichnet den ununterbrochenen rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses bei demselben Arbeitgeber. Der Begriff ist in § 1 Abs. 1 KSchG (Wartezeit für die Erlangung des allgemeinen Kündigungsschutzes), § 622 Abs. 2 BGB (Berechnung der Kündigungsfristen) und § 4 BUrlG (Wartezeit für Erlangung des vollen Urlaubsanspruchs) einheitlich auszulegen.
Rz. 380
Die rechtliche Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses – also Beendigung eines früheren und Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses – führt grundsätzlich zur Unterbrechung der Betriebszugehörigkeit, es sei denn, es besteht ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen dem vorherigen und dem jetzigen Arbeitsverhältnis.
Rz. 381
Die Betriebszugehörigkeit wird regelmäßig nicht unterbrochen, wenn das vorherige und das jetzige Arbeitsverhältnis ohne größere zeitliche Unterbrechung (wenige Tage oder wenige Wochen) unmittelbar aufeinanderfolgen und sich die Beschäftigung des Arbeitnehmers nahtlos fortsetzt. Dann ist typischerweise von einem "ununterbrochenen" Arbeitsverhältnis auszugehen. Eine Anrechnung von Beschäftigungszeiten aus einem vorangegangenen Arbeitsverhältnis kommt auch dann in Betracht, wenn das vorherige Vertragsverhältnis nicht deutschem, sondern ausländischem Arbeitsvertragsstatut unterlag.
Rz. 382
Für die Bewertung der Unterbrechung kommt es insbesondere auf Anlass und Dauer der Unterbrechung sowie auf die Art der Weiterbeschäftigung an. Je länger die Unterbrechung dauert, desto gewichtiger müssen die für den Zusammenhang sprechenden Gründe sein. Ein Unterbrechungszeitraum von mehr als drei Wochen dürfte stets "anrechnungsschädlich" sein und zur Unterbrechung der Betriebszugehörigkeit führen.
Rz. 383
Unabhängig von den faktischen Umständen der Unterbrechung können die Parteien eine Anrechnungsvereinbarung mit konstitutiver Wirkung treffen und die Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten – bei demselben oder einem anderen Arbeitgeber – vereinbaren. Es steht ihnen auch frei, die Anrechnung jeweils nur für bestimmte Zwecke (Anwendung Kündigungsschutz; Berechnung Kündigungsfristen; etc.) zu vereinbaren.
Rz. 384
Eine vereinbarte Anrechnung vorheriger Beschäftigungszeiten kann auch im Rahmen der Sozialauswahl – zu Lasten anderer zu kündigender Arbeitnehmer – zu beachten sein. Zwar sind die Regelungen über die Sozialauswahl nicht dispositiv, und können nicht einzelvertraglich zugunsten bestimmter Arbeitnehmer gezielt verändert werden. Jedoch bleibt es zulässig, durch vertragliche Vereinbarung eine frühere Beschäftigungszeit (bei demselben Arbeitgeber oder bei einem anderen Unternehmen) auf die Betriebszugehörigkeitsdauer anzurechnen, auch wenn sich diese Vereinbarung im Rahmen der Sozialauswahl zu Lasten anderer zu kündigender Arbeitnehmer auswirkt. Diese Vereinbarung darf jedoch nicht rechtsmissbräuchlich sein und nicht allein eine Umgehung der Sozialauswahl bezwecken, und es muss ein sachlicher Grund für die Anrechnung bestehen, etwa wenn die Anerkennung der früheren Betriebszugehörigkeit vor dem Hintergrund eines streitigen Betriebsübergangs des Arbeitsverhältnisses auf den jetzigen Arbeitgeber erfolgt; denn hätte ein Betriebsübergang stattgefunden, wäre die frühere Betriebszugehörigkeit in jedem Fall zu berücksichtigen. Umgekehrt dürfte ein zeitlich enger Zusammenhang zwischen der Individualvereinbarung und dem Kündigungsereignis ein Indiz für einen fehlenden sachlichen Grund und für eine mögliche Umgehungsabsicht sein.
Rz. 385
Je nach den Umständen kann eine Anrechnungsvereinbarung auch in der Aufnahme eines beendeten Arbeitsverhältnisses zu den alten Bedingungen liegen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn das beendete Arbeitsverhältnis auf Wunsch eines Kunden und unter Verzicht auf eine Probezeit wieder aufgenommen wird. Vereinbaren die Parteien nach der Abberufung eines Geschäftsführers dessen Weiterbeschäftigung im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ohne wesentliche Änderung seiner Arbeitsaufgaben, ist die Beschäftigungszeit als Geschäftsführer regelmäßig auf das neue Arbeitsverhältnis anzurechnen.