Rz. 30
Im Rahmen der Beratung des Mandanten nach dem Erbfall ist häufig ein Nachlassverzeichnis zu erstellen, in das der gesamte Vermögensbestand mit allen Aktiva und Passiva aufgenommen werden muss. Nur auf dieser Grundlage kann über die Zweckmäßigkeit der Annahme bzw. der Ausschlagung der Erbschaft entschieden werden. Auch für die Berechnung eventueller Pflichtteilsansprüche ist eine genaue Erfassung (und Bewertung) des Nachlassbestandes unerlässlich.
Schließlich wird ein Nachlassverzeichnis regelmäßig auch durch das Nachlassgericht angefordert, damit die Kosten der Testamentseröffnung ermittelt und festgesetzt werden können.
Rz. 31
In der Praxis bildet oft der Zeitfaktor das größte Problem bei der Erstellung des Nachlassverzeichnisses. Innerhalb der kurzen Ausschlagungsfrist von sechs Wochen ist es in vielen Fällen kaum möglich, zuverlässige Angaben zu den vorhandenen Vermögenswerten bzw. Verbindlichkeiten zu erhalten. Vor allem eine definitive Klärung der Frage, ob der Nachlass überschuldet ist, lässt sich dann nur schwer treffen. In dieser Situation wird der Rechtsanwalt seinem Mandanten nicht guten Gewissens zur Ausschlagung raten können. Ratsamer ist es beispielsweise, die Ergreifung entsprechender Haftungsbeschränkungsmaßnahmen (Dürftigkeitseinrede, Nachlassverwaltung, -insolvenz etc.) in Erwägung zu ziehen.
Rz. 32
Hat der Mandant im Hinblick auf diese Schwierigkeiten von seiner Möglichkeit, die Erbschaft auszuschlagen, nicht fristgerecht Gebrauch gemacht und stellt sich im Nachhinein heraus, dass hierfür Fehleinschätzungen im tatsächlichen Bereich ursächlich waren, kommt eine Anfechtung der Annahme der Erbschaft in Betracht. Voraussetzung für die Anfechtung ist das Vorliegen eines Eigenschaftsirrtums im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB.
Nach ganz herrschender Ansicht stellt die Überschuldung des Nachlasses eine verkehrswesentliche Eigenschaft im Sinne des Gesetzes dar, so dass eine für die Annahme der Erbschaft kausale und objektiv erhebliche Fehlvorstellung über diese Eigenschaft zur Anfechtung berechtigt. Darüber hinaus gilt auch die konkrete Zusammensetzung des Nachlasses als verkehrswesentliche Eigenschaft. Aus diesem Grunde kann auch der Irrtum über die Nachlasszugehörigkeit bestimmter Rechte oder Vermögenswerte, aber auch Verbindlichkeiten eine Anfechtung rechtfertigen, so z.B. die irrige Annahme, einen wesentlichen Nachlassbestandteil bereits durch Übertragung zu Lebzeiten erhalten zu haben, oder falsche Vorstellungen über das Bestehen einer Nachlassverbindlichkeit, z.B. einer Steuerschuld des Erblassers. Bezieht sich die Fehlvorstellung aber lediglich auf die Bewertung einzelner Nachlassgegenstände oder des Nachlasses insgesamt, liegt kein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft vor. Denn der Wert eines Gegenstandes bildet keine verkehrswesentliche Eigenschaft, vielmehr wird der Geldwert durch die Summe sämtlicher Eigenschaften determiniert.
Rz. 33
Während sich die Ermittlung des Nachlassbestandes hinsichtlich der Spar- und Bankguthaben oftmals als äußerst schwierig erweist, weil die Banken nur unter der Voraussetzung eines erbrechtlichen Legitimationsnachweises – im Regelfall durch Vorlage des Erbscheins – bereit sind, Auskünfte zu erteilen, ist die Ermittlung des Grundbesitz-Vermögens unproblematisch möglich. Die Grundbuchämter erteilen hier – zumeist auch recht rasch – die erforderlichen Auskünfte. Auch wenn der Mandant der Auffassung ist, über den Grundbesitz des Erblassers genau im Bilde zu sein, empfiehlt es sich dennoch, bei den zuständigen Grundbuchämtern anzufragen. Denn aus den Grundbuchauszügen sind auch die bestehenden dinglichen Belastungen der verschiedenen Grundstücke ersichtlich, von denen der Mandant oftmals keine exakte Kenntnis hat.
Rz. 34
Für die Frage, ob der Erbe die Erbschaft annehmen oder ausschlagen soll, kommt es regelmäßig nicht nur auf die tatsächliche Überschuldung des Nachlasses an, vielmehr ist auch die Möglichkeit einer Überschuldung oder Überschwerung durch Vermächtnisse oder Auflagen in Betracht zu ziehen. Hinterlässt der Erblasser beispielsweise ein Testament, in dem er seine Kinder als alleinige Erben einsetzt, seiner Ehefrau jedoch im Wege des Vermächtnisses das Wohnhaus zuwendet, sind die Kinder kraft der testamentarischen Verfügungen des Erblassers auch dann zur Erfüllung des Vermächtnisses verpflichtet, wenn im Übrigen keine nennenswerten Vermögensgegenstände im Nachlass vorhanden sind. Dies gilt selbst dann, wenn den Kindern bei Erfüllung des Vermächtnisses im Ergebnis weniger als ihr Pflichtteil verbleibt (vgl. § 2318 Abs. 3 BGB). Die einzige Möglichkeit, den Pflichtteil der Kinder zu sichern, besteht hier in einer rechtzeitigen Ausschlagung der Erbschaft, die in diesem Fall gemäß § 2306 Abs. 1 BGB der Geltendmachung des Pflichtteils – ausnahmsweise – nicht entgegensteht.
Rz. 35
Formulierungsbeispiel: Antrag auf Grundbuchabschrift
Amtsgericht (…)
– Grundbuchamt –
Betreff: Nachlass des am (…) verstorbenen Erblassers (…)
Sehr geehrte Dame...