Rz. 253
Der in der früheren Rechtsprechung entwickelte Begriff des unabwendbaren Ereignisses zu § 7 Abs. 2 StVG a.F. wurde praktisch unverändert in die Ausgleichungs- und Abwägungsvorschriften des § 17 Abs. 3 StVG übernommen, mit der zusätzlichen Erweiterung, dass der Ausgleich auch gegenüber dem Eigentümer eines Kraftfahrzeugs vorzunehmen ist, der nicht Halter ist (z.B. der Leasinggeber – § 17 Abs. 3 S. 3 StVG).
Rz. 254
Zum Begriff der Unabwendbarkeit gehört sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln, das über die gewöhnliche Verkehrssorgfalt hinausgeht und eine besonders überlegene und gesammelte Aufmerksamkeit und Umsicht erfordert (BGH VersR 1957, 587).
Rz. 255
Der Unabwendbarkeitsbeweis ist ausgeschlossen, wenn die Fahrweise des Kraftfahrers hinter den Möglichkeiten eines besonders tüchtigen und gewissenhaften Fahrzeugführers zurückbleibt – Idealkraftfahrer (BGH VersR 1959, 789). Dabei ist die Vermeidbarkeit nicht zurückschauend, sondern von der Sachlage vor dem Unfall – ex ante – zu beurteilen (BGH VersR 1959, 804). Die Unabwendbarkeit bedeutet nicht absolute Unvermeidbarkeit (BGH VersR 1973, 83), sondern ein an durchschnittlichen Verkehrsanforderungen gemessenes ideales, also überdurchschnittliches Verhalten (BGH NJW 1986, 183; VersR 1987, 1035). Nicht gedacht ist hierbei an das Verhalten eines nur theoretisch existierenden Genies, also des so genannten Super-Kraftfahrers.
Beispiel
Ein Pkw steht bereits seit 30 Sekunden an einer Rotlicht zeigenden Ampel. Plötzlich fährt völlig unvermittelt von hinten ein Lkw aufgrund eines alkoholisierten Fahrers mit erheblicher Wucht auf. Der Unfall ist für den Halter des Pkw unvermeidbar.
Rz. 256
Der Unabwendbarkeitsbeweis wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Kraftfahrer auf das Unterlassen grober Verstöße durch andere Verkehrsteilnehmer vertraut hat (BGH NJW 1986, 183). Auch überhöhte Geschwindigkeit schließt den Unabwendbarkeitsbeweis nicht aus, wenn sie weder für den Unfall noch für schwerere Folgen ursächlich war (OLG Stuttgart VersR 1980, 341).
Rz. 257
Unabwendbarkeit ist auch dann denkbar, wenn ein Kraftfahrer erst nach einem Moment des Erschreckens beginnt, ideal zu reagieren (BGH VersR 1964, 753). Bei diesen stark am objektiven Idealfahrer ausgerichteten Anforderungen des Entlastungsbeweises ist einem Fahranfänger der Unabwendbarkeitsbeweis regelmäßig abgeschnitten, weil er praktisch nie über die nötige Erfahrung und Routine verfügt, es sei denn, auch der Idealfahrer hätte objektiv den eintretenden Unfall nicht vermeiden können.
Rz. 258
Die Beweislast für die Unabwendbarkeit des Unfallgeschehens trifft allein den Halter (BGH NJW 1982, 1149). Für den Halter gehört zum Nachweis der Unabwendbarkeit auch, dass er die jeweiligen Kraftfahrer sorgfältig ausgewählt und beaufsichtigt hat (BGH VersR 1964, 1241).