Rz. 480
Wenn die Rechtsverfolgung gegen den vorrangig auf Unterhalt haftenden Verwandten (Primärschuldner) im Inland ausgeschlossen oder erheblich erschwert ist, haftet nach § 1607 Abs. 2 für den – noch – offenen Unterhaltsbedarf der nachrangige Verwandte (Sekundärschuldner). Im Falle der Ersatzhaftung liegen die Anspruchsvoraussetzungen des Verwandtenunterhalts im Unterhaltsrechtsverhältnis zum primär haftenden Unterhaltsschuldner vor; bei der Ausfallhaftung (§ 1607 Abs. 1) gerade nicht.
Rz. 481
Diese Problematik stellt sich in der Regel bei einer sich aufgrund der Zurechnung fiktiver Einkünfte ergebenden Leistungsfähigkeit des vorrangig haftenden Verwandten, mit der Folge, dass der Unterhaltsanspruch für den Unterhaltsgläubiger nicht durchsetzbar ist.
Rz. 482
Praxistipp
Die Ersatzhaftung greift auch, wenn der vorrangig haftende Verwandte kein vollstreckungsfähiges Vermögen besitzt oder von dem Unterhaltsgläubiger nicht erwartet werden kann, in auch ihm dienende Vermögenswerte des Unterhaltsschuldners zu vollstrecken.
Rz. 483
Das minderjährige oder privilegiert volljährige Kind muss sich nicht auf einen Unterhaltsanspruch aufgrund bloßer fiktiver Leistungsfähigkeit verweisen lassen. Sofern beide Elternteile als Unterhaltsschuldner nur aufgrund bloßer fiktiver Einkünfte leistungsfähig sind, verbleibt es bei deren anteiliger Haftung. Gegebenenfalls haften die Großeltern anteilig nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen nach § 1607 Abs. 2.
Rz. 484
Beispiele für den Anwendungsbereich des § 1607 Abs. 2 Satz 1:
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Stillstand der Rechtspflege. |
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Vaterschaft eines nicht ehelich geborenen Kindes nicht durch Anerkenntnis oder Beschluss festgestellt. |
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Unbekannter Aufenthaltsort des vorrangig haftenden Unterhaltsschuldners, auch bei dessen häufigen Wohnortwechseln. |
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Verweis auf UVG-Leistungen durch vorrangig haftenden Unterhaltsschuldner. |
aa) Übergang des Unterhaltsanspruchs, § 1607 Abs. 2 und 3
Rz. 485
Der Unterhaltsanspruch kann nach § 1607 Abs. 2 oder Abs. 3 übergehen.
(1) Übergang des Unterhaltsanspruchs nach § 1607 Abs. 2 Satz 2
Rz. 486
Aufgrund der Vorschrift des § 1607 Abs. 2 Satz 2 geht der Unterhaltsanspruch des Berechtigten gegen den erstrangig verpflichteten Verwandten auf den nachrangig verpflichteten Verwandten im Wege der Legalzession über, wenn die Rechtsverfolgung gegen den erstrangig haftenden Verwandten im Inland ausgeschlossen oder erheblich erschwert ist und der nachrangige Unterhaltsschuldner für den vorrangigen Schuldner geleistet hat. Der übergegangene Anspruch ist mit dem Unterhaltsanspruch weitestgehend identisch. Der Anspruch kann abgetreten, verpfändet und ohne Rücksicht auf § 850d ZPO gepfändet werden; alle im Zeitpunkt des Forderungsübergangs bestehenden Einwendungen bleiben grundsätzlich erhalten. Gegen den Anspruch ist die Aufrechnung zulässig. Die Verjährung richtet sich nach § 197 Abs. 2.
(2) Forderungsübergang nach § 1607 Abs. 3
Rz. 487
Diese Vorschrift gilt nur für Unterhaltsansprüche von Kindern gegen einen Elternteil, wobei jedoch die Voraussetzungen des § 1607 Abs. 2, nämlich, dass die Rechtsverfolgung im Inland ausgeschlossen oder erheblich erschwert ist, vorliegen müssen. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1607 Abs. 2 muss gerade ausschlaggebend für die freiwillige Leistung des anderen, nicht unterhaltspflichtigen Verwandten oder Ehegatten des anderen Teils für die Leistung an das Kind sein.
Rz. 488
Nach § 1607 Abs. 3 Satz 1 kann die Forderung auf nicht unterhaltspflichtige Verwandte (Geschwister des Kindes oder der Eltern; Verwandte i.S.d. § 1607 Abs. 1, die in überobligatorischer Weise für das Kind aufgekommen sind) und Stiefeltern des Kindes, aber auch nach § 1607 Abs. 3 Satz 2 auf den Scheinvater (siehe Rdn 23 f.) übergehen.
bb) Regress und Benachteiligungsverbot (§ 1607 Abs. 4)
Rz. 489
Wegen des Forderungsübergangs nach § 1607 Abs. 2 und 3 kann der Legalzessionar für von ihm an das unterhaltsberechtigte Kind geleistete Zahlung beim vorrangig haftenden Unterhaltsschuldner Regress nehmen. Allerdings kann der Rückgriff nur unter Beachtung des § 1607 Abs. 4 vorgenommen werden, der anordnet, dass der Übergang des Unterhaltsanspruchs nicht zum Nachteil des unterhaltsberechtigten Kindes geltend gemacht werden kann. Durch diese "Schutzklausel" soll die Gefährdung der zukünftigen Unterhaltsansprüche des Kindes durch die, der auf der Legalzession beruhenden Ausgleichsansprüche des nachrangigen Verwandten, verhindert werden.
Rz. 490
Praxistipp
Der zukünftige Unterhaltsanspruch des Kindes ist also vorrangig im Verhältnis zum Regressanspruch des Legalzessionars, sodass im Rahmen der Leistungsfähigkeit des vorrangig haftenden Unterhaltsschuldners die Regressforderung nicht...