Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
Rz. 627
(a) Als Maßnahme des Gesundheitsschutzes kommt in Betracht, dass die Betriebsparteien Verfahren regeln, mit denen Beschäftigte in einzelnen Gruppen oder Teams Belastungen erörtern, gewichten und in den Teams festlegen wie viel Belastungen und daraus resultierende Fehlbeanspruchungen vermieden werden können (Stichwort Büroregeln). Ein mögliches Verfahren insbesondere zur Begrenzung psychischer Fehlbelastungen ist das in der TRBS 1151 im Anhang speziell genannte "DGUV Ideentreffen".
Rz. 628
(b) Besondere Bedeutung haben die Führungskräfte, sowohl im Hinblick auf die Organisation der konkreten Arbeit als auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit der Beschäftigten ihres Bereiches. Als Maßnahme des Gesundheitsschutzes kommen spezielle Fortbildungen in Betracht, aber u.U. auch Entbindung einer Führungskraft von Personalverantwortung sie, weil ihre besonderen Qualitäten im fachlichen Bereich liegen.
Rz. 629
(c) Investitionsmaßnahmen können geeignet sein, Gefährdungen zu vermeiden (Verkapseln von lärmintensiven Maschinen, bauliche Abgrenzung von Arbeitsbereichen, Maßnahmen gegen Zugluft, Maßnahmen zur Schalldämmung in den Räumen). Ihre Durchführung steht unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit. Hier sind teilweise sehr schwierige Verhandlungen der Betriebsparteien zu führen, weil häufig derartige Entscheidungen nicht allein auf betrieblicher Ebene getroffen werden können, sondern von der Unternehmensspitze genehmigt werden müssen.
Rz. 630
(d) Alternativ können organisatorische Maßnahmen erörtert werden wie Jobrotation, aber auch über § 4 ArbZG hinausgehende zusätzliche Kurzpausen. Sie können Maßnahme des Gesundheitsschutzes sein, auch wenn Erholungszeiten beim Akkord nicht der Mitbestimmung nach § 87 Abs. Nr. 11 BetrVG unterliegen (Rdn 204). Auf den ersten Blick scheinen sie mit Kosten verbunden zu sein, werden als "Geschenk" des Arbeitgebers angesehen und daher abgelehnt. Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse widersprechen dieser Beurteilung: durch die Erhöhung der Intensität der Arbeit wird eine entstehende Ermüdung während der Arbeitsbelastung größer je länger die Arbeitszeit dauert. Die Ausdehnung der Arbeitszeit um eine Stunde erhöht die Produktion aufgrund von Ermüdung und Anpassungsprozessen nicht linear. Arbeitsunterbrechungen können eingeführt werden, um Möglichkeiten zur Erholung von Ermüdung zu schaffen. kurze Pausen nach kurzen Arbeitsabschnitten sind längeren Pausen nach längeren Arbeitsabschnitten vorzuziehen.
(a) Besetzungsregeln
Rz. 631
Vermeiden von Zeit-/Leistungsdruck, insbesondere von Unterbesetzung, ist eine Kernaufgabe beim Verhüten psychischer Gefährdungen. Als organisatorische Maßnahme geeignet sind Besetzungsregeln oder andere Entlastungsformen des Personals. Im Gegensatz dazu scheint die Entscheidung des Arbeitgebers zu stehen, mit einer bestimmten Zahl von Beschäftigten die im Betrieb anfallenden Arbeiten zu erledigen. Angesichts dessen wurde in den vergangenen Jahren wiederholt darauf hingewiesen, dass über § 87Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 3 ArbSchG nicht die grundsätzliche Wertung des BetrVG außer Kraft gesetzt werden könne, wonach die Personalplanung nicht der Mitbestimmung des Betriebsrates unterliege.
Das Bundesarbeitsgericht ist dieser Argumentation entgegengetreten, weil § 92 BetrVG einerseits und § 87 BetrVG andererseits unterschiedlichen Angelegenheiten zuzuordnen seien. Zwischen beiden Angelegenheiten bestünden keine Wechselwirkungen, sie stünden selbstständig nebeneinander. Daher sei es aus systematischen Gründen nicht ausgeschlossen, dass Maßnahmen des Gesundheitsschutzes ggf. den Personaleinsatzplan des Arbeitgebers berührten.
Unter welchen Voraussetzungen eine Einigungsstelle auf Grundlage einer Gefährdungsbeurteilung Besetzungsregeln beschließen kann, können, ist nicht bestimmt. Ob gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse Besetzungsregeln verlangen oder aber ob mildere Mittel zur Verfügung stehen, festgestellte Belastungen zu minimieren, wird auszuloten sein.
Das LAG Hamburg hat durch Beschluss vom 16.7.2020 die Anfechtung des Spruches einer Einigungsstelle zurückgewiesen, die aufgrund festgestellter Gefährdungen durch personelle Unterbesetzung Besetzungsregeln für das Verhältnis Arzt/Patienten festgelegt hatte.