Agiles Arbeiten und Arbeitsschutz: Chance oder Herausforderung?
Die Digitalisierung ermöglicht und erfordert neue Formen des Arbeitens. Das führt zu weitreichenden Veränderungen der Arbeitsprozesse und -methoden, der Arbeitsgestaltung und der Zusammenarbeit der Beschäftigten. Diese Transformation der gesamten Arbeitswelt wird zumeist mit dem Begriff der Agilität beschrieben. Flexibel, proaktiv, schnell und vorausschauend sollen damit die Herausforderungen der Globalisierung angegangen werden. Unternehmen sehen im agilen Arbeiten vor allem die Chance, flexibler, schneller und zielorientierter auf Marktveränderungen zu reagieren. Doch die Schnelligkeit und Flexibilität der agilen Arbeitswelt stellen auch große Herausforderungen für den Arbeitsschutz dar.
Manifest der Agilität
Agiles Arbeiten war bereits in den 70er Jahren Gegenstand in der Betriebswirtschafts- und Managementlehre. Ein „Manifest“ des neuen Managementparadigmas entstand aber erst 2001 auf einem Treffen von Softwareunternehmen und -experten in den USA. Dabei werteten diese ihre Erfahrungen mit erfolgreichen Projekten aus und leiteten daraus vier zentrale Werte sowie 12 Prinzipien ab, die Projekte aus der agilen Perspektive erfolgreich macht. Die vier Werte sind: Individuen und ihre Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge; das Reagieren auf Veränderungen hat Vorrang vor dem Befolgen eines Plans; die Zusammenarbeit mit dem Kunden ist bedeutender als Vertragsverhandlungen und – eher branchenspezifisch – eine funktionierende Software muss mehr als lediglich eine umfassende Dokumentation bieten.
Mit Agilität steigt die Arbeitsbelastung
Doch was bedeutet agiles Arbeiten für die Arbeitsqualität und die Gesundheit der Beschäftigten? Eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) aus dem Jahr 2022 fand heraus, dass sich das Arbeitstempo im Dienstleistungssektor durch agiles Arbeiten deutlich erhöht hat. Die Arbeitsbelastung insgesamt ist durch agile Arbeitsprozesse gestiegen. Die DGB-Studie kommt jedoch nicht zu dem Schluss, dass der Arbeitsschutz diese agilen Prozesse und Strukturen einfach eindämmen sollte. Stattdessen sei es wichtig, dass der Arbeitsschutz sich an die neuen Gegebenheiten anpasst und diese für seine Zwecke nutzt. Denn die Studie zeigte auch, dass je mehr agile Methoden in einem Unternehmen eingesetzt werden, desto größer die Chancen für selbstbestimmtes Arbeiten sind. 64 Prozent der Befragten assoziierten mit dem Begriff „agiles Arbeiten“ die Möglichkeit für mehr selbstbestimmte Arbeit und niedrigere Belastungen. Probleme entstehen hauptsächlich dort, wo sich der Arbeitsschutz noch nicht an die neuen Bedingungen angepasst hat.
Fehler- und Vertrauenskultur schaffen Vertrauen
Zu den positiven Errungenschaften der agilen Arbeit, von der der Arbeitsschutz profitieren kann, gehört laut Arbeitsschutzexperten des TÜV Süd das Entstehen einer „Fehlerkultur“. Fehler werden in der Philosophie der Agilitätslehre als Teil des Lernprozesses betrachtet, sie dürfen und müssen sogar passieren und sind daher kein Grund für eine Sanktionierung. Diese Akzeptanz von Fehlern schaffe wiederum Vertrauen zwischen Führungskräften und Beschäftigten, die in Teams zusammenarbeiten. Das gegenseitige Vertrauen und die enge Solidarität innerhalb der Teams, die personell selten oder gar nicht verändert werden, erhöhen nicht nur die Produktivität, sondern auch die Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten. Durch die Kollegialität im Team können insbesondere psychische Belastungen reduziert werden.
Nachhaltiges Arbeitstempo
"Nachhaltige Geschwindigkeit" (Sustainable Pace) ist ein weiteres Agilitätsprinzip. Es bedeutet, dass die Beschäftigten ein gleichmäßiges Tempo über einen langen Zeitraum hinweg halten sollen. Auch diese Herausforderung soll über die Teamstrukturen gelöst werden. Belastungen für die einzelnen Beschäftigten werden reduziert, wenn ihre Teams selbst über materielle, zeitliche und personelle Ressourcen entscheiden und verfügen können. Auch die Zeiteinteilungen obliegt den Teams. Sie bestimmen selbst, wie die Leistungsvorgaben konkret umgesetzt werden. Dazu gehört auch die eigenständige Planung von Pausen und von Freizeit. Auch dieser Faktor trägt laut dem TÜV Süd stark dazu bei, den Arbeits- und Gesundheitsschutz im Unternehmen zu fördern.
Lernen von Best Practice
Die agile Arbeitswelt bietet also auch Vorteile in Bezug auf die Arbeitsqualität. Aber wie kann der Arbeitsschutz in Unternehmen darauf aufbauen? Viele Arbeitsschutz-Experten fordern daher eine Neuausrichtung des Arbeitsschutzes. Laut Claus Hertl, Venture Clienting Gesundheitsmanagement bei der B-A-D GmbH, muss sich der moderne Arbeitsschutz an den neuen agilen Prinzipien wie Flexibilität und kontinuierliche Verbesserung orientieren, um effizient und effektiv zu sein. Ihm zufolge liegt der Schlüssel hierzu in kontinuierlicher Weiterbildung und dem Austausch von Best-Practice-Beispielen sowohl unter den Verantwortlichen für den Arbeitsschutz im Betrieb als auch zwischen den Experten verschiedener Unternehmen. Die Schaffung (zusätzlicher) Plattformen für Wissensaustausch und Lernen fördert nicht nur die Verbreitung innovativer Ideen, Trends und Techniken, sondern stärkt vor allem auch die Sicherheitskultur innerhalb von Unternehmen und Organisationen.
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