Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
Rz. 834
Im Fall einer Betriebsschließung bleibt der bisherige BR im Wege des Restmandats nach § 21b BetrVG bis zur Abwicklung des gesamten Betriebes und bis zur Erledigung aller mitwirkungspflichtigen Angelegenheiten im Amt. Damit ist er auch im Fall einer beabsichtigten Betriebsschließung für die Anhörungen nach § 102 BetrVG zuständig und anzuhören (zur Kündigung von Mandatsträgern in einem solchen Fall vgl. das Muster zur Kündigung eines Kündigungsgeschützten nach § 102 BetrVG (§ 15 Abs. 4 und Abs. 5 KSchG, siehe unten Rdn 883).
Rz. 835
Da sich ein Betriebsübergang nach § 613a BGB bzw. eine Betriebsveräußerung ohne Arbeitgeberwechsel und eine Betriebsstilllegung/Betriebsschließung gegenseitig ausschließen, ist im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob der Betrieb lediglich unter Übertragung auf einen anderen Arbeitgeber teilweise eingeschränkt, räumlich verlagert oder sonst unter Wahrung seiner Identität fortgeführt werden soll oder ob der Betrieb tatsächlich stillgelegt wird.
Rz. 836
Die Betriebsstilllegung setzt den ernsten und endgültigen Entschluss des Unternehmers voraus, die Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zwischen Arbeitgeber und Belegschaft dauerhaft oder für einen längeren, wirtschaftlich nicht unerheblichen Zeitraum aufzuheben. Die Kündigung kann dabei schon vor dem Zeitpunkt der tatsächlichen Betriebsstilllegung erklärt werden, wenn die zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung bereits greifbare Formen angenommen hat und eine vernünftige betriebswirtschaftliche Betrachtung die Prognose rechtfertigt, dass der Arbeitnehmer nach Auslaufen der Kündigungsfrist mit einiger Sicherheit entbehrt werden kann; maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung.
Rz. 837
Solange der Arbeitgeber jedoch beabsichtigt, noch Verhandlungen über eine Veräußerung des Betriebes oder die Erlangung neuer Aufträge zu führen oder sich an Ausschreibungen zu beteiligen, besteht keine endgültige Schließungsabsicht. Es handelt sich dann lediglich um eine unzulässige Vorratskündigung "ins Blaue hinein", ohne dass der Schließungsentschluss bereits greifbare Formen angenommen hat. Insoweit ist aber stets der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ausschlaggebend. Wurde die Kündigung bereits ausgesprochen und geht dem Arbeitgeber erst später ein Übernahmeangebot zu, das – im Falle der erfolgreichen Betriebsveräußerung – die bereits endgültig geplante und eingeleitete Kündigung obsolet machen könnte, bleibt die bereits erklärte Kündigung dennoch sozial gerechtfertigt; insbesondere liegt auch keine Umgehung von § 613a Abs. 1 BGB vor. In Betracht kommt allerdings ein Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers.
Rz. 838
Der BR ist bei einer geplanten Betriebsstilllegung lediglich darüber zu informieren, dass alle Arbeitnehmer gekündigt werden sollen. Da in diesem Fall keine Sozialauswahl stattfindet, müssen dem BR auch nicht die Sozialdaten der Arbeitnehmer mitgeteilt werden. Etwas anderes gilt dann, wenn es sich um eine Betriebsstilllegung in Etappen handelt, bei der der Arbeitgeber auf jeder Stufe die Grundsätze der Sozialauswahl erneut zu beachten hat, selbst wenn nur noch wenige Arbeitnehmer mit Abwicklungsarbeiten beschäftigt werden.
Rz. 839
Muster 2.64: Anhörung des BR gemäß § 102 BetrVG zur ordentlichen betriebsbedingten Kündigung wegen Betriebsstilllegung
Muster 2.64: Anhörung des BR gemäß § 102 BetrVG zur ordentlichen betriebsbedingten Kündigung wegen Betriebsstilllegung
An den
Betriebsrat
z. H. des Betriebsratsvorsitzenden
Betrifft: Anhörung zur ordentlichen betriebsbedingten Kündigung
Aufgrund der mit Ihnen geführten Interessenausgleichsverhandlungen, die am _________________________ (Datum) mit dem Abschluss eines Interessenausgleichs und eines Sozialplan endeten, ist Ihnen bekannt, dass am _________________________ (Datum) die unternehmerische Entscheidung getroffen wurde, unseren Produktionsbetrieb in _________________________ (Betriebsort) zum _________________________ (Datum) endgültig, insbesondere aus Gründen seiner Unrentabilität stillzulegen.
Wir beabsichtigen daher, die Arbeitsverhältnisse sämtlicher Arbeitnehmer des Betriebes ordentlich zum nächstzulässigen Zeitpunkt, jedoch nicht vor dem o.g. Zeitpunkt der beabsichtigten Betriebsstilllegung, zu kündigen. Eine Liste mit den Namen aller Arbeitnehmer nebst einer Übersicht über die jeweils individuell geltenden Kündigungsfristen aller Arbeitnehmer finden Sie in der Anlage. Es kommen die tariflichen Kündigungsfristen zur Anwendung, soweit nicht individuell längere Fristen vereinbart sind. Der im Interessenausgleich vereinbarte früheste Stilllegungszeitpunkt ist in jedem Einzelfall gewahrt.
Von einer umfassenden Darstellung der Sozialdaten sehen wir ab. Da es keine Sozialauswahl geben kann, weil alle Arbeitnehmer des Betriebs betroffen sind, sollen alle Arbeitsverhältnisse aller Beschäftigten einschließlich derjenigen der Mitglieder des Betriebsrates und der Jugend- und Auszubildendenvertretung – nach § 15 Abs. 4 KSchG – ord...