Rz. 390
Der Rechtsanwalt hat Handakten zu führen, aufzubewahren und ggf. an den Mandanten herauszugeben sowie dem Mandanten Einsicht in die Handakten zu gewähren. Insoweit besteht eine Nebenpflicht aus dem Anwaltsvertrag. Diese Pflicht hat haftungsrechtlich allerdings nur eine mittelbare Bedeutung, etwa wenn der Rechtsanwalt infolge nachlässiger Führung der Handakte eine Frist nicht beachtet. Die Pflichtverletzung liegt dann darin, dass der Rechtsanwalt die Frist versäumt hat, und nicht darin, dass er die Handakte nachlässig geführt hat. In der Rechtsprechung spielt die Handakte v.a. bei der Fristenkontrolle eine große Rolle. I.R.d. Beweissicherungspflicht (vgl. Rdn 156) kann ein Rechtsanwalt verpflichtet sein, schriftliche Aufzeichnungen über die Zustellung von fristauslösenden Schriftstücken zu machen, um insoweit später substanziiert vortragen zu können. Von besonderer Bedeutung ist die Handakte für den Rechtsanwalt auch bei der Vereinbarung von Zeit- bzw. Stundenhonoraren, weil er dann bei Rechnungstellung, spätestens aber im Prozess, Tätigkeit und Zeitaufwand substanziiert darlegen muss, was im Nachhinein ohne entsprechende Aufzeichnungen schwer möglich sein wird. Ebenso wird der Anwalt die von ihm vorgenommenen Belehrungen des Mandanten, so sie nicht schriftlich erfolgt sind, in der Handakte vermerken, um bei einem späteren Anwaltshaftungsprozess seiner sekundären Darlegungslast zu der von ihm vorgenommenen Belehrung substanziiert nachkommen zu können. Nur ordnungsgemäß geführte Handakten ermöglichen es dem Rechtsanwalt, sich in einem Regressprozess gegen den Vorwurf einer Pflichtverletzung substanziiert zu verteidigen oder einen Honoraranspruch auf Stundenlohnbasis hinreichend zu belegen.
Eine allgemeine Dokumentationspflicht des Rechtsanwalts besteht nicht. Besondere Bedeutung erlangen die Handakten jedoch in der gerichtliche Praxis bei Wiedereinsetzungsgesuchen, z.B. weil in der Handakte das Fristende für die Einlegung von Rechtsmitteln vermerkt und außerdem erkennbar sein muss, dass die Frist auch in den Fristenkalender eingetragen worden ist. Der Anwalt darf das Empfangsbekenntnis nur unterschreiben, wenn sichergestellt ist, dass in den Handakten die Rechtsmittelfrist entsprechend vermerkt ist. Die Überprüfung der Empfangsfaxnummer des Rechtsmittelgerichts der mit Fax versandten Rechtsmittelschriften darf nur anhand der in den Handakten befindlichen Schreiben des Gerichts stattfinden.
Rz. 391
Gibt der Rechtsanwalt die ihm vom Mandanten überlassenen Unterlagen nach Mandatsende verspätet zurück und erleidet der Auftraggeber sodann wegen einer versäumten Frist einen Rechtsverlust, kann der Rechtsanwalt wegen der Verletzung nachvertraglicher Pflichten zum Schadensersatz verpflichtet sein, wenn er den Mandanten nicht anderweitig auf die drohende Verjährung hingewiesen hat. Ob allerdings die nachlässige Führung der Handakten in einem Regressprozess Beweiserleichterungen zugunsten des Auftraggebers begründen kann, erscheint fraglich, da einen Rechtsanwalt eine Dokumentationspflicht gerade nicht trifft. Die fehlende Dokumentation kann deshalb nicht zu einer Umkehr der Beweislast führen. Verweigert aber der rechtliche Berater dem Mandanten vertragswidrig die Rückgabe erhaltener Unterlagen und erschwert er ihm dadurch die Darlegung, infolge dieser Vertragsverletzung einen Schaden erlitten zu haben, kann dies nach den Umständen dazu führen, dass an die Substanziierung des Klagevortrags in diesem Punkt geringere Anforderungen als im Regelfall zu stellen sind. Gelingt dem Kläger in einem solchen Fall trotz eines den Umständen nach ausreichenden Sachvortrags der von ihm gem. § 287 ZPO zu führende Beweis nicht und beruht dies darauf, dass ihm die vom rechtlichen Berater vorenthaltenen Unterlagen fehlen, geht die Unmöglichkeit der Tatsachenaufklärung zu Lasten des Beraters.