Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 799
Der Tierhüter oder Tieraufseher haftet nach § 834 S. 1 BGB in gleicher Weise wie der Haustierhalter nach § 833 S. 2 BGB. Seine Haftung setzt ebenfalls voraus, dass sich in dem eingetretenen Schaden das Risiko eines der tierischen Natur entsprechenden selbsttätigen und willkürlichen Verhaltens des Tieres realisiert hat. Die Vorschrift unterscheidet – anders als § 833 BGB – nicht zwischen Luxus- und Nutztieren. Diese Verantwortlichkeit ist keine Gefährdungshaftung, sondern von vornherein eine Haftung kraft vermuteten Verschuldens des Tierhüters. Hiernach muss der Tierhüter die doppelte Vermutung gegen sich gelten lassen, dass ihn ein Verschulden trifft und dieses Verschulden für den Schaden ursächlich geworden ist. Diese Vermutung gilt auch bei Minderjährigen. Sie entfällt gemäß § 834 S. 2 BGB, wenn der Tierhüter den Entlastungsbeweis nach § 833 S. 2 BGB erbringt. Die Sorgfaltsanforderungen für den Tierhüter entsprechen denen an den Tierhalter (siehe oben Rdn 789), bezogen auf Führung und Beaufsichtigung des Tieres. Die Haftung des Tierhüters tritt nicht an die Stelle der Tierhalterhaftung, sondern bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen zusätzlich hierzu bzw. unabhängig hiervon. Tierhüter und Tierhalter haften dem Verletzten als Gesamtschuldner.
Rz. 800
Tierhüter ist derjenige, der durch Vertrag jedenfalls als Nebenpflicht die Führung der Aufsicht über das Tier für den Tierhalter und damit die Sorge übernommen hat, dass durch das Tier kein Dritter geschädigt wird. Hierdurch wächst ihm die selbstständige Entscheidung über Maßnahmen zur Steuerung der Tiergefahr zu. Aufsichtsführung im Sinne dieser Vorschrift bedeutet Übertragung der selbstständigen allgemeinen Gewalt und der Aufsicht über das betroffene Tier. Ob der Vertrag auch wirksam sein muss, ist vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber mit der Formulierung "durch Vertrag" wohl nur die Abgrenzung zur nicht erfassten rein tatsächlichen Übernahme der Aufsicht klarstellen wollte, umstritten. Es spricht viel dafür, die Übernahme der Verantwortung mit Rechtsbindungswillen genügen zu lassen, selbst wenn der Übernahmevertrag aus anderen Gründen unwirksam ist. Der Vertrag kann auch stillschweigend geschlossen werden. Abzugrenzen ist jedoch die Übernahme der Aufsicht aus Gefälligkeit. Verreist beispielsweise der Tierhalter und bittet er einen Angehörigen, sich in dieser Zeit um das Tier zu kümmern, wird mit Rücksicht auf das Verwandtschaftsverhältnis ein Vertrag nicht anzunehmen sein.
Rz. 801
Nicht Tierhüter sind diejenigen Personen, die nur unselbstständige Hilfsdienste bei der Beaufsichtigung des Tieres leisten. Deshalb sind Stallburschen, Pferdeknechte, Kutscher und angestellte Reitlehrer sowie Beamte oder Angestellte des öffentlichen Dienstes in Bezug auf Polizeipferde sowie Polizeihunde oder auf die Pferde eines staatlichen Gestüts nicht Tierhüter. Auch üben sie die Aufsicht nicht kraft eines mit dem Tierhalter geschlossenen Vertrages aus.
Rz. 802
Tierhüter ist indes ein selbstständiger Berufsreiter, der ein Pferd in Beritt nimmt, ein Pferdetrainer, ein Tierarzt, dem das Tier in die Klinik eingeliefert wird, der Begleiter eines Viehtransports und der Inhaber einer Tierpension. Auch der Mieter eines Reitpferdes, der selbstständig ausreitet, wird Tierhüter, da er die Führung der Aufsicht über das Pferd jedenfalls als Nebenpflicht vertraglich übernommen hat. Dies soll auch für Minderjährige gelten, wenn die Eltern das selbständige Ausreiten billigen.