Dr. iur. Artur-Konrad Wypych
Rz. 93
Neben die organisatorischen und technischen Maßnahmen des Arbeitsschutzes tritt die arbeitsmedizinische Vorsorge. Im Interesse von Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Allgemeinheit soll sichergestellt werden, dass Arbeitsplätze nicht mit dafür körperlich ungeeigneten Arbeitnehmern besetzt werden. Ebenso ist Ziel die Vermeidung bzw. möglichst frühzeitige Erkennung von arbeitsbedingten Erkrankungen. Aus den Untersuchungsergebnissen ergeben sich nicht nur Folgerungen für die Beschäftigung oder Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers, sondern auch für eine möglicherweise notwendige Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder Arbeitsverfahrens. Zu unterscheiden sind die allgemeinen Vorsorgeuntersuchungen ohne Berücksichtigung spezieller Anforderungen des jeweiligen Arbeitsplatzes, und die besonderen Vorsorgeuntersuchungen, die gezielt wegen spezieller Gefährdungen einer Tätigkeit durchgeführt werden.
Rz. 94
Die allgemeinen Vorsorgeuntersuchungen sind im ASiG geregelt, die Teilnahme daran ist im Regelfall freiwillig. Besondere Untersuchungsmethoden sind allerdings ebenso wenig vorgeschrieben wie Beschäftigungsbeschränkungen oder -verbote als Folge. Die Verpflichtung des Arbeitnehmers, eine außerhalb dieses Rahmens vom Arbeitgeber verlangte ärztliche Untersuchung zu dulden, besteht nur bei begründeten Zweifeln an der Tauglichkeit. Gerade die häufig geforderten Untersuchungen auf Alkohol- oder Drogenmissbrauch ohne konkreten Anlass werden von der Rechtsprechung kritisch gesehen und ohne "hinreichend sichere tatsächliche Feststellungen, die einen Eignungsmangel nahe liegend erscheinen lassen", abgelehnt. Dies gilt selbst z.B. für waffentragende Mitarbeiter eines Wachdienstes (BAG v. 12.8.1999 – 2 AZR 55/99).
Rz. 95
Parallel zu den Bestimmungen des ASiG ergibt sich aus dem ArbSchG die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmern auf Wunsch eine regelmäßige arbeitsmedizinische Untersuchung ("Wunschuntersuchung") zu ermöglichen (§ 11 ArbSchG). Diese Verpflichtung besteht nur für solche Arbeitsplätze nicht, bei denen aufgrund der Arbeitsbedingungen und Schutzmaßnahmen (§ 5 ArbSchG) nicht mit einem Gesundheitsschaden zu rechnen ist.
Rz. 96
Die besonderen arbeitsplatzbezogenen Untersuchungen waren zunächst in den verschiedenen Ausführungsverordnungen enthalten, so u.a. in ArbStättV, GefStoffV, BioStoffV, LärmVibrationsArbSchV. Ebenso erforderten einige UVV besondere Untersuchungen. Zur Vereinheitlichung dieser weit verstreuten und unterschiedlich ausgestalteten Rechtsgrundlagen im Geltungsbereich des ArbSchG wurde 2008 die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) erlassen. Dadurch wurden die Regelungen der einzelnen Fachverordnungen ersetzt. Der Arbeitgeber ist hiernach verpflichtet, auf der Grundlage der Gefährdungsbeurteilung für eine angemessene arbeitsmedizinische Vorsorge zu sorgen (§ 3 Abs. 1 ArbMedVV).
Rz. 97
Klar unterschieden wird in der Verordnung zwischen Pflichtvorsorge bei besonders gefährdenden und Angebotsvorsorge bei (nur) gefährdenden Tätigkeiten. Welche dies im Einzelnen sind, ist im Anhang der Verordnung aufgelistet. Darüber hinaus ist eine Wunschvorsorge anzubieten, wenn bei der Tätigkeit gesundheitliche Beeinträchtigungen nicht ausgeschlossen werden können. Die Durchführung einer erforderlichen Pflichtvorsorge (Pflichtuntersuchung) ist Voraussetzung für die Ausübung einer im Anhang aufgelisteten Tätigkeit, z.B. des Umganges mit bestimmten Gefahrstoffen. Der Arbeitgeber erhält eine Kopie der ärztlichen Bescheinigung über die durchgeführte Vorsorge. Die Vorsorgeuntersuchungen sind in einer Vorsorgekartei zu dokumentieren. Zur Konkretisierung und Erläuterung einzelner Bestimmungen der ArbMedVV gibt es Arbeitsmedizinische Regeln (AMR, http://www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Ausschuesse/AfAMed/AMR/AMR.html). Die AMR regeln z.B. die Fristen für das Angebot der arbeitsmedizinischen Vorsorge (AMR Nr. 2.1) ebenso wie die arbeitsmedizinische Prävention (AMR Nr. 3.2).
Rz. 98
Die ArbMedVV enthält weiterhin Anforderungen an die ärztliche Qualifikation, sowie an die Durchführung, Bescheinigung und Auswertung der Untersuchungen durch einen Arzt. Halten Arbeitgeber oder der untersuchte Arbeitnehmer das Ergebnis für unzutreffend, kann eine Entscheidung der zuständigen Behörde herbeigeführt werden.
Rz. 99
Die ArbMedVV umfasst nicht den Nachweis der gesundheitlichen Eignung für berufliche Anforderungen nach sonstigen Rechtsvorschriften oder individual- oder kollektivrechtlichen Vereinbarungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 ArbMedVV). Somit bleiben neben den Vorsorgeuntersuchungen der ArbMedVV die für spezielle Tätigkeiten vorgeschriebenen Eignungsuntersuchungen weiterhin bestehen, die z.T. Voraussetzung für die Wirksamkeit der Arbeitsverträge sind. Besondere Bedeutung haben hier die Untersuchungen beim Umgang mit strahlender Materie (§§ 60 ff. StrlSchV) oder beim Umgang mit Lebensmitteln (§ 43 IfSG). Ähnliches gilt für Nachtarbeiter (§ 6 Abs. 3 ArbZG). Die Vorsorgeuntersuchung soll nicht zusammen mit den speziellen Eignungsunter...