Dr. iur. Marcus Hartmann, Walter Krug
Rz. 135
Soweit das Nachlassgericht nicht in der Lage ist, aufgrund der bereits durchgeführten Beweiserhebung bestehende Zweifel an der Testierfähigkeit auszuräumen, ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens eines Psychiaters oder Nervenarztes erforderlich, nicht nur eines praktischen Arztes.
Die Auswahl des Sachverständigen ist eine nicht selbstständig anfechtbare Zwischenentscheidung, die gem. § 30 FamFG, § 404 ZPO im Ermessen des Gerichts steht.
Von besonderer praktischer Bedeutung ist § 411a ZPO, wonach ein in einem anderen Verfahren eingeholtes schriftliches Sachverständigengutachten verwertet werden kann.
Rz. 136
Nach einer Entscheidung des OLG München muss das Sachverständigengutachten zunächst auf der ersten Beurteilungsebene die psychiatrische Erkrankung feststellen und dann auf der zweiten Beurteilungsebene die Auswirkungen auf die Testierfähigkeit des Erblassers erläutern:
Zitat
"Soweit der Sachverständige Dr. D. von den Privatgutachtern Prof. O. und Prof. f. abweicht, fehlt es an dieser Notwendigkeit schon deshalb, weil in diesen Privatgutachten nicht hinreichend zwischen der Feststellung einer psychiatrischen Erkrankung auf der ersten Beurteilungsebene und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Testierfähigkeit auf der zweiten Beurteilungsebene getrennt wird. Der Gutachter Prof. O. nimmt diese Trennung zwar formal vor (Gutachten vom 15.2.2016, Seiten 186 ff.). Allerdings erschließt sich aus diesem Gutachten nicht, warum die auf der ersten Beurteilungsebene angenommene Erkrankung des Erblassers auf der zweiten Beurteilungsebene die Testierunfähigkeit nach sich gezogen haben soll. Allein der Hinweis auf eine "überzeugte Sicht des Unterzeichners" (S. 189) ist schon deshalb unbehelflich, weil es nicht auf die überzeugte Sicht des Gutachters ankommt, vielmehr sich das Gericht eine Meinung bilden können muss, was anhand dieses Gutachtens aber nicht möglich ist."
Rz. 137
Andererseits beanstandet es das BayObLG nicht, wenn das Sachverständigengutachten eine bestimmte Diagnose offenlässt. Zu klären ist aber stets, ob die freie Willensbestimmung des Erblassers durch die – wie auch immer geartete Krankheit – aufgehoben war. Der Erblasser muss noch zu vernünftigen Erwägungen in der Lage gewesen sein.
Rz. 138
Existieren zwei sich widersprechende ärztliche Gutachten zur Testierfähigkeit, gilt das zeitnah vor Testamentserrichtung erstellte Gutachten, das die Testierfähigkeit nachweist, als maßgeblich. Ist das die Testierunfähigkeit feststellende Gutachten einige Monate älter (z.B. fünf Monate), ist der Inhalt des zeitnahen Gutachtens nicht erschüttert, sodass das Nachlassgericht von der Testierfähigkeit ausgehen kann.
Rz. 139
Zum Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts: Das Beschwerdegericht kann die Beweiswürdigung nur daraufhin überprüfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend erforscht und alle wesentlichen Umstände berücksichtigt wurden bzw. ob die Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei ist und nicht Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen zuwiderläuft; ferner ob die Beweisanforderungen vernachlässigt oder überspannt worden sind. Stützt sich der Tatrichter auf ein Gutachten, muss die Beweiswürdigung weiter ergeben, dass das Gericht selbstständig und eigenverantwortlich geprüft hat, ob es dem Gutachten folgen kann.