Dr. iur. Marcus Hartmann, Walter Krug
Rz. 142
BayObLG, Beschluss vom 21.7.1999
Nach dem BayObLG kann der Erblasser testierunfähig sein, wenn sich seine paranoiden Wahnvorstellungen vor allem auf eine als (testamentarischer) Erbe in Betracht kommende Person beziehen, sodass er nicht in der Lage ist, sich ein freies Urteil über die Rechtsnachfolge von Todes wegen zu bilden:
Zitat
"Nach § 2229 Abs. 4 BGB kann ein Testament nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewußtseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Hierbei ist derjenige als wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder Geistesschwäche testierunfähig zu erachten, dessen Erwägungen und Willensentschlüsse nicht mehr auf einer dem allgemeinen Verkehrsverständnis entsprechenden Würdigung der Außendinge und Lebensverhältnisse beruhen, sondern durch krankhaftes Empfinden oder krankhafte Vorstellungen und Gedanken derart beeinflußt werden, daß sie tatsächlich nicht mehr frei sind, vielmehr von jenen krankhaften Einwirkungen beherrscht werden. Diese Unfreiheit der Erwägungen und der Willensbildung braucht nicht darin zutage zu treten, daß der Erblasser sich keine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung eines Testaments und von dessen Inhalt oder von der Tragweite seiner letztwilligen Anordnungen, insbesondere von ihrer Auswirkung auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen zu machen vermag; sie kann sich vielmehr darauf beschränken, die Motive für die Errichtung einer letztwilligen Verfügung entscheidend zu beeinflussen. Testierunfähig ist daher auch derjenige, der nicht in der Lage ist, sich über die für und gegen die sittliche Berechtigung einer letztwilligen Verfügung sprechenden Gründe ein klares, von Wahnideen nicht gestörtes Urteil zu bilden und nach diesem Urteil frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln (BayObLGZ 1962, 219, 223 f.). Dabei geht es nicht darum, den Inhalt der letztwilligen Verfügung auf seine Angemessenheit zu beurteilen (vgl. dazu BayObLGZ 1991, 59, 63), sondern nur darum, ob sie frei von krankheitsbedingten Störungen zustande kommt."
Das Landgericht war daher an der Annahme der Testierunfähigkeit der Erblasserin nicht dadurch gehindert, daß dem Sachverständigengutachten nicht entnommen werden kann, die Erblasserin sei durch ihren krankhaften geistigen Zustand unfähig gewesen, den Inhalt und die Auswirkungen ihres Testaments zu erfassen. Vielmehr konnte das Landgericht die Testierunfähigkeit allein daraus ableiten, daß die Erblasserin infolge ihrer paranoiden Verfolgungsideen, die sich insbesondere auf ihre Schwägerin bezogen, außerstande war, sich ein von diesen Vorstellungen unbeeinflußtes Urteil über die Rechtsnachfolge von Todes wegen zu bilden. Wie sich schon aus dem Text des Testaments ergibt, ist die Erbeinsetzung der Söhne des Gemeindepfarrers von den auf die Schwägerin bezogenen Wahnideen beeinflußt. Daß die Schwägerin nicht zu den gesetzlichen Erben der Erblasserin gehört, ändert hieran nichts.“