Entscheidungsstichwort (Thema)
Testierfähigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder Geistesschwäche testierunfähig ist derjenige zu erachten, dessen Erwägungen und Willensentschlüsse nicht mehr auf einer dem allgemeinen Verkehrsverständnis entsprechenden Würdigung der Außendinge und Lebensverhältnisse beruhen, sondern durch krankhaftes Empfinden oder krankhafte Vorstellungen und Gedanken derart beeinflußt werden, daß sie tatsächlich nicht mehr frei sind, vielmehr von jenen krankhaften Einwirkungen beherrscht werden.
2. Diese Unfreiheit der Erwägungen und der Willensbildung braucht nicht darin zutage zu treten, daß der Erblasser sich keine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung eines Testaments und von dessen Inhalt oder von der Tragweite seiner letztwilligen Anordnungen, insbesondere von ihrer Auswirkung auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen zu machen vermag; sie kann sich vielmehr darauf beschränken, die Motive für die Errichtung einer letztwilligen Verfügung entscheidend zu beeinflussen.
3. Testierunfähig ist daher auch derjenige, der nicht in der Lage ist, sich über die für und gegen die sittliche Berechtigung einer letztwilligen Verfügung sprechenden Gründe ein klares, von Wahnideen nicht gestörtes Urteil zu bilden und nach diesem Urteil frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln.
Normenkette
BGB § 2229 Abs. 4
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 10.07.1998; Aktenzeichen 16 T 7697/97) |
AG München (Aktenzeichen 63 VI 11185/92) |
Tenor
I. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 gegen den Beschluß des Landgerichts München I vom 10. Juli 1998 wird zurückgewiesen.
II. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 460.000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die 1992 im Alter von 79 Jahren nach einer Tumoroperation verstorbene Erblasserin war unverheiratet und kinderlos. Ihre Schwester und ihr Bruder sind ohne Hinterlassung von Abkömmlingen vorverstorben. Die Beteiligten zu 3 bis 8 sind gesetzliche Erben der dritten Ordnung. Der Beteiligte zu 9 ist der Pfarrer der Kirchengemeinde, der die Erblasserin angehörte. Die Beteiligten zu 1 und 2 sind seine Söhne.
Zu deren Gunsten hat die Erblasserin am 16.1.1991 ein eigenhändig geschriebenes und unterzeichnetes Testament mit folgendem Wortlaut errichtet:
Testament
Ich habe keine Verwandten, die einen Pflichtanteil an meinem Erbe erhalten müßten.
Auch möchte ich nicht, daß meine Schwägerin … mich beerbt. Daher treffe ich … folgende letztwillige Verfügung: Als meine Erben setze ich zu gleichen Teilen … (= Beteiligte zu 1 und 2) ein.
Dieses Testament habe ich eigenhändig niedergeschrieben und unterschrieben.
In einem auf dem gleichen Blatt Papier geschriebenen und ebenfalls unterzeichneten Nachtrag vom 2.6.1992 bestimmte die Erblasserin den Beteiligten zu 9 zum Testamentsvollstrecker.
Der Beteiligte zu 9 hat als gesetzlicher Vertreter der damals noch minderjährigen Beteiligten zu 1 und 2 die Annahme der Erbschaft erklärt und einen Erbschein beantragt, wonach die Erblasserin von den Beteiligten zu 1 und 2 zu je 1/2 beerbt werde.
Die Beteiligten zu 3 bis 5 und 7 haben dagegen einen Erbschein „gemäß der gesetzlichen Erbfolge” beantragt, weil die Erblasserin zur Zeit der Errichtung des Testaments nicht testierfähig gewesen sei. Sie sei bereits vor dem Jahr 1990 auffällig und in ärztlicher Behandlung gewesen. Anläßlich der Beerdigung ihres Bruders am 15.10.1990 habe sie vor der Feier in der Leichenhalle herumgeschrien und nicht anwesende Personen beleidigt. Nur mit Mühe sei es ihren Verwandten gelungen, beruhigend auf sie einzuwirken. Schon vorher habe es Anfragen einer Banksachbearbeiterin bei ihrem Bruder gegeben, ob denn die Schwester noch geschäftsfähig sei.
Das Nachlaßgericht hat die von der Beteiligten zu 3 benannten Ärzte und Zeugen teils schriftlich befragt, teils mündlich vernommen, ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt und dann mit Beschluß vom 9.5.1995 den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 und 2 zurückgewiesen mit der Begründung, daß die Erblasserin aufgrund einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit testierunfähig gewesen sei. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2, die im wesentlichen darauf gestützt war, daß die von ihnen benannten Zeugen, die keine Auffälligkeiten mit Krankheitswert bei der Erblasserin festgestellt hätten, vom Nachlaßgericht nicht vernommen worden seien, hat das Landgericht mit Beschluß vom 3.8.1995 den Beschluß des Amtsgerichts aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zur Ergänzung der Beweiserhebung zurückverwiesen. Das Nachlaßgericht hat nun auch diese Zeugen und einen weiteren Arzt, der die Erblasserin untersucht hatte, vernommen, hat ein ergänzendes Sachverständigengutachten eingeholt und sodann mit Beschluß vom 17.3.1997 den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 und 2 wiederum zurückgewiesen. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 hat das Landgericht mit Beschluß vom 10.7.1998 zurückgewiesen.
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