Rz. 116
Betriebsbedingte Kündigungen aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG unterliegen erleichterten Voraussetzungen. Es wird nach § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, wenn die zu kündigenden Arbeitnehmer in einem Interessenausgleich namentlich bezeichnet sind. Damit soll die Rechts- und Planungssicherheit bei der Entlassung einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern erhöht werden. Für die Vermutung reicht es allerdings nicht aus, wenn lediglich über Teile des geplanten Stellenabbaus ein Interessenausgleich mit Namensliste zustande kommt. In dem Interessenausgleich muss sich über die gesamte geplante Betriebsänderung verständigt werden. Die Regelung ist § 125 InsO nachgebildet. Für den Schwellenwert von 21 Arbeitnehmern des § 111 BetrVG wird nicht auf den Betrieb, sondern auf das Unternehmen abgestellt, mit der Konsequenz, dass in kleineren Betrieben solcher Unternehmen schon ein Interessenausgleich abgeschlossen werden kann, wenn 20 %, mindestens aber sechs Arbeitnehmer von einer Betriebsänderung betroffen sind.
Rz. 117
Praxishinweis
Der Arbeitgeberanwalt wird im Zusammenhang mit Restrukturierungsmaßnahmen, insbesondere bei Ausspruch einer Mehrzahl von Kündigungen generell zu überlegen haben, ob die Maßnahme nicht so durchgeführt wird, dass in jedem Fall eine Betriebsänderung vorliegt und dann ein Interessenausgleich mit Namensliste und ein Sozialplan abgeschlossen werden. Dies gilt insb. bei vorhandenen Sozialplänen, die eine schnelle Einigung mit dem Betriebsrat ermöglichen. Dann besteht bei der Durchsetzung der Kündigungen eine relativ große Rechtssicherheit. Man wird dies insb. erwägen, wenn die von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer eine hohe Betriebszugehörigkeit und/oder ein hohes Lebensalter und/oder besonderen Kündigungsschutz (dazu ausführlich siehe § 6 Rdn 1 ff.) haben.
Aufgrund der Regelung in § 1a KSchG werden sich Betriebsräte tendenziell seltener auf Sozialpläne mit Abfindungszahlungen unterhalb eines halben Bruttomonatsgehalts pro Beschäftigungsjahr einlassen.
Wer sich im "Randbereich" einer Betriebsänderung bewegt und glaubt, mit Kündigungsgrund und Sozialauswahl keine Probleme zu bekommen, wird die Strukturveränderung so durchführen, dass die Voraussetzungen einer Betriebsänderung nicht vorliegen. Bei größeren Massenentlassungen bringt die Regelung erhebliche Erleichterung. Dies gilt insb. vor dem Hintergrund, dass inzwischen viele Betriebsräte wissen, dass gerade bei auf Innovation angewiesenen Unternehmen eine strenge Sozialauswahl sich sehr nachteilig auf die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens auswirken kann.
Rz. 118
Nach der Rspr. des BAG hat der Arbeitgeber die Vermutungsbasis dafür, dass eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG vorlag, für die Kündigung des Arbeitnehmers kausal war und der Arbeitnehmer ordnungsgemäß in einem Interessenausgleich benannt ist, substantiiert darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Die Rechtswirkung des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG tritt nur ein, wenn der Interessenausgleich in jeder Hinsicht wirksam abgeschlossen worden ist. Der Arbeitgeber hat u.a. das ordnungsgemäße Zustandekommen eines Interessenausgleichs darzulegen. Das bedeutet, dass die Zuständigkeit des Betriebs- bzw. Gesamt- oder Konzernbetriebsrats für den Abschluss des Interessenausgleichs vom Arbeitgeber dargelegt werden muss. Der Arbeitnehmer muss allerdings Mängel in der Beschlussfassung des Betriebsrats beweisen, z.B. wenn er einwenden will, der Betriebsratsvorsitzende habe ohne einen entsprechenden Beschluss des Betriebsrats unterzeichnet, ein Delegationsbeschluss nach § 58 Abs. 2 S. 1 BetrVG sei nicht ordnungsgemäß zu Stande gekommen oder die Entscheidungsbefugnis sei gem. § 58 Abs. 2 S. 2 BetrVG vorbehalten worden. Der Arbeitnehmer muss auch darlegen, dass seine Benennung im Interessenausgleich zu Unrecht erfolgt ist. Erst dann ist der Arbeitgeber zu einem weitergehenden Vortrag bzgl. der ordnungsgemäßen Benennung verpflichtet.
Rz. 119
Ferner muss der Arbeitgeber das Vorliegen einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG darlegen und ggf. beweisen. Dabei kommt es nicht darauf an, welche der in § 111 S. 2 BetrVG geregelten Tatbestände die Maßnahme betrifft. Dieselbe Maßnahme des Unternehmens kann auch mehrere Tatbestände der Betriebsänderung i.S.v. § 111 S. 2 BetrVG erfüllen. Bei einem Personalabbau, der die Zahlen und Prozentangaben nach § 17 Abs. 1 KSchG erreicht, ist es – wenn mindestens 5 % der Belegschaft entlassen werden sollen – unbeachtlich, ob die Schwelle der Sozialplanpflichtigkeit eines Personalabbaus nach § 112a BetrVG überschritten wird.
Rz. 120
Zur Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG ist erforderlich, dass der Arbeitnehmer in einem formwirksam zustande gekommenen Interessenausgleich als zu kündigender Arbeitnehmer bezeichnet worden ist. Allein aus der Existenz eines Interessenausgleichs und einer Namensliste als A...