Rz. 29
Der Kern des anwaltlichen Regressrechts ist die haftungsausfüllende Kausalität – Zurechnungsfragen stehen seit jeher im Mittelpunkt der anwaltlichen Haftung. Bei der haftungsausfüllenden Kausalität geht es um die Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und Schaden, für dessen Feststellung ein hypothetischer Geschehensablauf zu ermitteln ist, nämlich der, wie er bei vertragsgerechtem Verhalten des Anwalts eingetreten wäre. Gefragt wird, wie der Mandant bei pflichtgemäßem Anwaltsverhalten gestanden hätte. Geht ein Rechtsstreit wegen eines Anwaltsfehlers verloren, so ist der Schadensersatzanspruch gegen den Rechtsanwalt nicht gegeben, wenn das Ergebnis des Vorprozesses dem materiellen Recht entspricht.
Beschränkt sich die Pflichtverletzung auf ein positives Tun (Beispiele: Klageerhebung, Schuldanerkenntnis, Vergleichsabschluss gegen den Willen des Mandanten) wird nach der "conditio sine qua non-Formel" gefragt, ob wenn das beanstandete Handeln hinweg gedacht, der eingetretene Erfolg eingetreten wäre, wobei nicht andere Umstände hinzugedacht werden dürfen. Hingegen ist in den Fällen des pflichtwidrigen Unterlassens zu untersuchen, wie die Dinge sich entwickelt hätten, wenn die versäumte Handlung vorgenommen worden wäre, somit, ob die Vornahme der gebotenen Handlung den Eintritt des Schadens verhindert hätte. Bei einer Vergleichsberatung wird man zu fragen haben, wie sich der Mandant hypothetisch verhalten hätte bei Zuraten zum Vergleich, beim Abraten vom Vergleich, bei offener Beratung und Risikobelehrung, bei nur in einer bestimmte Richtung gehenden empfehlenden oder abratender Beratung. Die Kausalität eines anwaltlichen Beratungsdefizits für den Schaden des Mandanten ist jedenfalls nicht feststellbar, wenn der Vergleichsabschluss als interessengerechte Handlungsalternative zu betrachten ist. Wie sich der Mandant bei pflichtgemäßer anwaltlicher Beratung verhalten hätte, ist anhand von Indizien und eventuellen Vermutungen nach der Lebenserfahrung zu beurteilen. Dabei müssen die Handlungsalternativen untersucht werden, die sich dem Mandanten bei pflichtgemäßer Beratung gestellt hätten. Hieraus hat die Rechtsprechung den Anscheinsbeweis entwickelt, dass der Mandant sich beratungsgemäß verhalten hätte, wenn nach der Lebenserfahrung bei vertragsgemäßer Leistung des Beraters im Hinblick auf die Interessenlage oder andere objektive Umstände aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Menschen eindeutig ein bestimmtes Verhalten nahe gelegen hätte. Der Anscheinsbeweis ist erbracht, wenn bei vertragsgerechter Beratung nicht nur eine Entscheidung nahegelegen hätte. Voraussetzung ist hierbei aber, dass Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden sich als eine typische Pflichtverletzung des Beraters darstellt. Auf gar keinen Fall kann sich der Rechtsanwalt darauf beschränken, die Pflichtverletzung pauschal zu bestreiten. Dies gilt auch bei grober anwaltlicher Pflichtverletzung – im Gegensatz zu dem Arztrecht. Auch bei anderen Pflichtverletzungen kann ein Anscheinsbeweis zugunsten des Mandanten eingreifen, falls nach der Lebenserfahrung das pflichtgemäße Verhalten des Rechtsanwalts ein bestimmtes Verhalten des Mandanten nach sich gezogen hätte, wie z.B. der unterlassene Hinweis auf einen möglichen Regressprozess gegen sich und dessen Verjährung (sogen. "Sekundärhaftung"). Trägt der Mandant vor, über eine wesentliche Frage nicht beraten worden zu sein, so hat der Rechtsanwalt die sekundäre Beweislast. Er muss darlegen und unter Beweis stellen, was er dem Mandanten wann und in welcher Form geraten hat und wie er ihn belehrt hat. Die tatsächliche Vermutung eines bestimmten Verhaltens des Mandanten kann der Anwalt entkräften, den Anscheinsbeweis also erschüttern. Dazu muss er die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Kausalverlaufes infolge atypischen Verhaltens des Mandanten darlegen und die von ihm angeführten Tatsachen, sowie diese regelmäßig streitig sind, beweisen. Im Falle, dass kein Anscheinsbeweis gilt, gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäß §§ 286, 287 ZPO. So kann im Falle einer Deckungszusage einer Rechtsschutzversicherung und unschlüssiger Klage eines Rechtsanwalts kein Anscheinsbeweis gelten, dass der Mandant den Rechtsstreit insgesamt nicht geführt hätte – die Deckungszusage ist als Chance für den Mandanten zu verstehen, so dass hier die §§ 286, 287 ZPO heranzuziehen sind. Wenn der auf Schadensersatz in Anspruch genommene Anwalt beweist, dass der Mandant auch in anderen Fällen sinnvolle Ratschläge nicht befolgt hat, vielleicht weil er zu ängstlich oder auch querulatorisch ist, kann nicht von einem Anscheinsbeweis ausgegangen werden. Im Falle einer Beweisvereitelung durch Nichtherausgabe von Handakten kann ferner eine Beweiserleichterung bei schuldhafter Beweiserleichterung eingreifen, zu einer Beweislastumkehr hat sich der BGH freilich nicht durchringen können. Dies wird damit begründet, dass dem Anwalt keine selbstständige Doku...