Dr. iur. Stephanie Herzog
Rz. 27
Der Weg der Ausschlagung wird oft beschritten aufgrund der doch eher vagen Vermutung oder Angst, der Nachlass sei überschuldet, etwa weil der Erblasser sich lebzeitig in diese Richtung geäußert hat. Wenn sich dann später herausstellt, dass der Schein getrogen hat und der Nachlass doch nicht überschuldet oder wertlos ist, wird der Mandant "sein Erbe" zurückhaben wollen.
Hinweis
Zu diesem Zweck muss der beratende Rechtsanwalt seinem Mandanten die Möglichkeit der Anfechtung der Ausschlagung gemäß §§ 1954 Abs. 1 Alt. 2, 1955, 1957 Abs. 1 Alt. 2 BGB stets offenhalten, wenn er keine eigene Haftung riskieren will.
Rz. 28
Beruht aber die Entscheidung, die Erbschaft auszuschlagen, auf bewusst ungesicherter, also spekulativer Grundlage, so berechtigt eine später sich herausstellende Werthaltigkeit des Erbes mangels eines rechtlich relevanten Irrtums den Ausschlagenden nicht zur Anfechtung seiner Erklärung. Es handelt sich in einem solchen Fall nicht um den Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Erbschaft. Vielmehr liegt ein unbeachtlicher Motivirrtum vor, wenn der Erbe bei seiner Ausschlagungserklärung
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ohne konkrete Kenntnis über die Zusammensetzung des Nachlasses, |
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ohne Bemühen um Aufklärung der befürchteten Überschuldung und |
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ohne Bewertung ihm etwa bekannter oder zugänglicher Fakten, |
sondern aufgrund äußerer Umstände und lange zurückliegender unsubstantiierter Informationen schlicht davon ausging, "da könne nichts sein".
Denn dann wird die Ausschlagungserklärung auf rein spekulativer und bewusst unsicherer Grundlage abgegeben.
Rz. 29
Ein relevanter Irrtum i.S.e. Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses i.S.d. § 119 Abs. 2 BGB liegt nur dann vor, wenn die irrtümliche Annahme, der Nachlass sei überschuldet, sich nicht nur auf eine unzutreffende Bewertung der dem Erklärenden bekannten Nachlassgegenstände stützt, sondern auf einer unrichtigen Vorstellung über die Zusammensetzung des Nachlasses beruht, der Erbe also nur deshalb von einer Überschuldung ausgeht, weil er keine Kenntnis von einem weiteren werthaltigen Nachlassgegenstand hatte. Ist dies erwiesen, so steht die Angabe in der notariell beglaubigten Ausschlagungserklärung, zum Nachlasswert keine Auskunft erteilen zu können, einer Anfechtung der Ausschlagungserklärung nicht von vornherein entgegen.
Wenn bspw. der potenzielle Erbe eine vermüllte Wohnung mit umherliegenden Rechnungen und Mahnungen vorfindet, in der keine werthaltigen Gegenstände aufzufinden sind, und aus Informationen des Nachlassgerichts von offenen Nachlassverbindlichkeiten und Bezahlung der Bestattung durch die öffentliche Hand erfährt, und sind diese Umstände aus seiner Sicht abschließend, weil sich ihm keine weiteren Anhaltspunkte für weitere taugliche Informationsquellen bieten, und gelangt er aufgrund dieser Klärung der Vermögensverhältnisse zu der Vorstellung, dass sich im Nachlass ausschließlich Verbindlichkeiten des Erblassers befinden, so hat er sich bei seiner hierauf basierenden Erklärung der Erbausschlagung nicht lediglich von Spekulationen, sondern von der Überzeugung einer Überschuldung leiten lassen. Wenn sich dann im Nachhinein herausstellt, dass der Nachlass werthaltig ist, so kann er seine Erbausschlagungserklärung wegen Eigenschaftsirrtums anfechten. Unterbleiben hingegen solcherlei Ermittlungen, so erfolgt die Ausschlagung aufgrund rein spekulativer Grundlage und die Anfechtung ist ausgeschlossen.
Rz. 30
Hierzu drei Beispiele aus der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf:
1. In einem dem Urteil des OLG Düsseldorf vom 5.9.2008 zugrundeliegenden Fall hatte der Alleinerbe seiner Mutter "gleich aus welchem Rechtsgrund" ausgeschlagen, weil die Erblasserin, seine Mutter, immer gesagt hatte, sie "besitze kein Vermögen". Dies obwohl der im Todesfall der Erblasserin ermittelnde Polizeibeamte ihm gegenüber erklärt hatte, auf dem Girokonto der Erblasserin befände sich ein größerer Geldbetrag. Dem ging der Erbe aufgrund der lebzeitigen Aussagen der Mutter, und weil er sich aufgrund seines Gesundheitszustandes keinesfalls um die Nachlassabwicklung kümmern zu können glaubte, nicht weiter nach.
Nachdem der Nachlasspfleger festgestellt hatte, dass der Nachlasswert mindestens 20.000 EUR betrage, focht der Sohn der Erblasserin seine Ausschlagungserklärung an, da er irrtümlich davon ausgegangen sei, im Nachlass befänden sich "keine besonderen Wertgegenstände", der Nachlass sei "wohl eher überschuldet", und begehrte einen Erbschein.
Ohne Erfolg. Das OLG Düsseldorf hielt die Anfechtung der Ausschlagung für unwirksam. Es mangele an einem beachtlichen Irrtum. Obwohl er aufgrund der Aussage des Polizeibeamten Anlass dazu gehabt hätte, sich über den Nachlasswert zu informieren, um sich für oder gegen eine Ausschlagung zu entscheiden, sah der Sohn der Erblasserin davon ab. Es ist daher davon auszugehen, dass er den Nachlass für unattraktiv gehalten hat und die Nachlassabwicklung für nicht lohnenswert. Dies aber berechtige nicht zur Anfech...