Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 258
Fallbeispiel 28: Die verdeckte Vor-/Nacherbschaft
T ist Erbin geworden: Einziger Nachlassgegenstand ist eine Immobilie. Der Erblasser hatte verfügt: Alleinerbin wird meine Tochter. Mein alleiniger Nachlassgegenstand ist meine Immobilie in X-stadt. Meine Tochter darf diese Immobilie nur innerhalb ihrer Abkömmlinge weitervererben.
T selbst fürchtet eine zukünftige Heimaufnahme und überträgt die Immobilie ohne wesentliche Gegenleistungen auf ihre Nachbarin N. Kurze Zeit später wird T heimpflegebedürftig und mangels anderer Mittel auch sozialhilfebedürftig. N will sich mit dem Sozialamt über den Schenkungsrückforderungsanspruch einigen. Wo könnte das Problem sein?
Rz. 259
Der Vorerbe ist wahrer Erbe und tatsächlicher Eigentümer des Nachlasses. Trifft der Erblasser – ausdrücklich oder konkludent – keine gesonderten Anordnungen zur Befreiung des Vorerben von den gesetzlichen Beschränkungen der Vorerbschaft, so unterliegt der Vorerben sämtlichen Beschränkungen, die sich aus den §§ 2111–2135 BGB ergeben. In der Praxis wird die nicht befreite Vorerbschaft/Nacherbschaft gerne benutzt bei der Ausgestaltung von Bedürftigentestamenten für behinderte und nicht behinderte Menschen (vgl. dazu ausführlich § 11).
aa) Nicht befreite Vorerbschaft
Rz. 260
Durch die Anordnung einer Vorerbschaft/Nacherbschaft wird der Nachlass mit einer Verfügungsbeschränkung belastet. Der Erblasser kann damit sein Vermögen binden, dem zum Vorerben Berufenen die Nutzungen des Vermögens zukommen lassen und störende Dritte vom Nachlass fernhalten.
Rz. 261
§§ 2113 ff. BGB ordnen an, dass die Verfügungsbefugnis des Vorerben über den Nachlass beschränkt ist. Diese Beschränkung entfaltet ihre (absolute) Wirkung erst mit dem Nacherbfall. Bis dahin sind die Verfügungen des Vorerben auch dem Nacherben gegenüber mit dinglicher Wirkung wirksam. Sie bleiben es auch, sofern sie den Voraussetzungen der §§ 2113 ff. BGB nicht widersprechen, also insbesondere das Recht des Nacherben nicht vereiteln oder beeinträchtigen.
Rz. 262
§ 2115 BGB schafft eine Vollstreckungssperre. Mit dieser Vollstreckungssperre wird verhindert, dass Eigengläubiger des Vorerben auf den Nachlass zugreifen. Zwangsverfügungen sind danach nach Eintritt des Nacherbenfalls insoweit unwirksam, als sie das Recht des Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen. Die Unwirksamkeit ist absolut, besteht also gegenüber jedermann. Da sie auf den Nacherbenfall hinausgeschoben ist, sind die bis dahin getroffenen Vollstreckungsmaßnahmen zwar wirksam, gem. § 773 ZPO soll aber keine Verwertung durch Veräußerung oder Überweisung erfolgen. Der Nacherbe kann sich mit der Drittwiderspruchsklage wehren.
Rz. 263
Die Vorerbschaft bildet in der Hand des Vorerben – vergleichbar wie bei der Testamentsvollstreckung – eine Art Sondervermögen, das ihm zwar für die Dauer der Vorerbschaft zusteht, aber dann unmittelbar – außerhalb des Vermögens des Vorerben – mit dem Eintritt des Nacherbfalls auf den Nacherben übergeht. Der Verwertung des Vermögens steht insoweit ein rechtliches Hindernis entgegen. Dem tritt das SG Düsseldorf entgegen, weil "das Verhältnis zwischen Vorerben und Nacherben keinen unmittelbaren Durchschlag auf die Verfügungsbefugnis des Vorerben habe". Der Nacherbfall, der mit dem Tod des Vorerben eintrete, setze den Vorerben auch keiner Wertersatzforderung des Nacherben aus.
Rz. 264
Der Schutz der Anordnung von Vorerbschaft und Nacherbschaft bezieht sich nicht auf die "Nutzungen" (Früchte und Gebrauchsvorteile) der Erbschaft. Sie stehen dem Vorerben unmittelbar zu (§ 2111 BGB). Diese sind, wenn kein weiterer Schutz angeordnet wird, unmittelbar in der Sozialhilfe anrechenbar. Sie stellen anrechenbares Einkommen dar, wenn nicht weiterer Schutz (Dauertestamentsvollstreckung nach § 2209 BGB) hinzutritt.
bb) Befreite Vorerbschaft
Rz. 265
Von vielen gesetzlichen Beschränkungen des Vorerben ("nicht befreite" Vorerbschaft) kann der Erblasser den Vorerben nach § 2136 BGB befreien. Der befreite Vorerbe ist berechtigt, den Nachlass für sich zu verbrauchen bzw. Erbschaftsgegenstände ersatzlos für sich zu verwenden. Die §§ 2130, 2134 BGB gelten für ihn nicht. Insoweit besteht ebenfalls kein Schutz gegen den Einsatz und die Verwertung des ererbten Vermögens. Dieser entsteht erst, wenn man durch letztwillige Verfügung einen zweiten "Schutzring" um den Nachlass legt, der typischerweise aus Dauertestamentsvollstreckung und entsprechenden Verwaltungsanordnungen besteht.
Rz. 266
Vom Verbot der unentgeltlichen Verfügung nach § 2113 Abs. 2 BGB kann aber auch der Erblasser nicht befreien. Es gilt ferner, dass sich die Rechte des Nacherben nach § 2111 BGB im Wege der dinglichen Surrogation an den erworbenen Gegenständen fortsetzen.
Der Mangel der Verfügungsbefugnis des Vorerben (§ 2113 BGB) kann aber durch Zustimmung des Nacherben geheilt werden kann. Einigen sich Vorer...