Detlef Burhoff, Dr. Holger Niehaus
Rz. 124
Sowohl beim allgemeinen als auch beim qualifizierten Rotlichtverstoß ist für den Verteidiger zunächst die Frage entscheidend, ob es sich bei dem seinem Mandanten zur Last gelegten Verkehrsverhalten überhaupt um einen Rotlichtverstoß i.S.d. § 37 StVO handelt oder um einen Grenzfall, bei dem ein Rotlichtverstoß zu verneinen wäre. Dazu gilt (vgl. wegen weiterer Einzelh. Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 3416 ff.):
Rz. 125
Ein Rotlichtverstoß liegt nicht vor, wenn der Betroffene die Lichtzeichenanlage zwar bei Rotlicht passiert, er aber noch vor dem eigentlichen Schutzbereich anhält (BGHSt 43, 285 = NZV 1998, 119, 120; BayObLG, zfs 1994, 467; OLG Bremen, DAR 2002, 225; OLG Celle, zfs 1997, 355.). Dann handelt es sich nur um einen Verstoß gegen §§ 41 Abs. 3 Nr. 2 (Zeichen 294), 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO (Lorenz, NZV 2015, 575. Unter dem Begriff der "Kreuzung" in § 37 StVO ist der durch die Fluchtlinien der sich kreuzenden Fahrbahnen eingegrenzte Bereich zu verstehen (BayObLG, a.a.O.).
Rz. 126
Ein Rotlichtverstoß ist auch dann nicht gegeben, wenn der Kraftfahrer die Rot zeigende Lichtzeichenanlage dadurch umgeht, dass er über ein seitlich gelegenes Grundstück fährt, um die kreuzende Straße zu erreichen (OLG Düsseldorf, NZV 1998, 41; OLG Hamm, VA 2013, 195 = NZV 2013, 508 = VRR 2013, 433 [Tankstellengelände]; vgl. aber auch zur a.A. BayObLG, NZV 1994, 80; OLG Düsseldorf, NZV 1993, 243). Entscheidend ist in diesen "Umgehungsfällen" immer, ob der Verkehrsteilnehmer, den durch die Lichtzeichenanlage geschützten Kreuzungsbereich berührt oder nicht. Deshalb begeht z.B. derjenige, der die Lichtzeichenanlage innerhalb des durch sie geschützten Bereichs durch Benutzung des Gehwegs umfährt, einen Rotlichtverstoß, wenn er unmittelbar nach Umfahren der Lichtzeichenanlage auf die Fahrbahn zurückkehrt (OLG Hamm, VA 2002, 93 = NZV 2002, 408 = VRS 103, 1359, für den Führer eines Leichtkraftrades, der vor der Lichtzeichenanlage auf den Gehweg gefahren und hinter der Lichtzeichenanlage wieder auf die kreuzende Straße aufgefahren war; zum Umfahren Burhoff, ZAP Fach 9, S. 919, 920 und Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 3421 ff., jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung).
Rz. 127
Die ebenfalls zu den Umgehungsfällen zählenden Fälle des sog. Spurwechsels sind in der Rechtsprechung inzwischen geklärt. Die Frage war früher umstritten (vgl. die Nachweise bei OLG Hamm, NStZ-RR 1997, 146 = VRS 93, 210; zuletzt OLG Hamm, Beschl. v. 17.6.2005 – 1 Ss OWi 223/05). Ein Teil der Rechtsprechung, so auch das OLG Hamm, hatte die Auffassung vertreten, dass an einer Lichtzeichenanlage mit unterschiedlichen Lichtzeichen für Geradeaus- und Abbiegeverkehr ein Rotlichtverstoß dann zu verneinen sei, wenn der Betroffene zwar in der durch Rot gesperrten Spur die Lichtzeichenanlage passiert, dann aber auf eine durch Grünlicht frei geschaltete andere Fahrspur gewechselt ist und auf dieser über die Kreuzung fuhr. Dieser Streit hat dann der BGH entschieden (BGHSt 43, 285 = NZV 1998, 118). Der BGH (a.a.O.) geht in diesen Fällen von einem Rotlichtverstoß aus (KG, VRS 117, 168). Das hat zur Folge, dass dann auch derjenige einen Rotlichtverstoß begeht, der bei Grünlicht auf einer mit einem Linksabbiegerpfeil versehenen Fahrspur in eine Kreuzung eingefahren ist, diese dann aber geradeaus fahrend passiert hat, obwohl das für Geradeausfahrer geltende Lichtzeichen beim Erreichen der Haltelinie Rotlicht zeigte (OLG Brandenburg, Beschl. v. 14.4.2022 – 2 OLG 53 Ss-OWi 462/21, VA 2022, 124; OLG Hamm, NZV 1998, 255 = DAR 1998, 244 = VRS 95, 134, VA 2005, 193 = VRR 2005, 391; zuletzt OLG Köln, VA 2015, 208 = VRR 11/2015, 12 = NStZ-RR 2015, 253 = NZV 2016, 192 = zfs 2015, 229; zum Spurwechsel, insb. zur Frage, was zum geschützten Kreuzungsbereich gehört, auch noch AG Celle, VM 2006, 39 [Nr. 40]). Das gilt auch dann, wenn der Entschluss zum Geradeausfahren erst nach Passieren der Haltelinie gefasst wird (OLG Köln, a.a.O.). Entsprechendes gilt für den Fahrzeugführer, der auf einer Rechtsabbiegerspur bei Rotlicht (schwarzer Pfeil nach rechts) in den Kreuzungs- bzw. Einmündungsbereich einfährt, wenn er nicht nach rechts abbiegen will, sondern die Rechtsabbiegerspur nur zum Überholen eines auf der Geradeausspur, für die der Verkehr freigegeben ist, fahrenden Fahrzeugs benutzt und anschließend geradeaus weiterfährt (BayObLG, Beschl. v. 7.6.2022 – 202 ObOWi 678/22). Dies gilt aber nur dann, wenn er sich im Zeitpunkt des Einfahrens in den durch die Lichtzeichenanlage gesicherten Kreuzungs- bzw. Einmündungsbereich zumindest noch teilweise auf der Rechtsabbiegerspur befindet.
Rz. 128
Um einen Rotlichtverstoß handelt es sich schließlich auch, wenn der Betroffene unbefugt einen Sonderfahrstreifen mit eigenen Lichtzeichen benutzt hat. Es gelten dann nämlich für ihn nicht die Lichtzeichen für den Sonderfahrstreifen, sondern die, die für den allgemeinen Verkehr auf den übrigen Fahrstreifen vorgesehen sind (KG, VA 2010, 209 = VRR 2010, 283 [Ls.]. Allerdings kann, wenn trotz Missachtung des dortigen Rotlichts eine G...