Rz. 139
Bevor im Einzelnen mit der Gestaltung einer Verfügung von Todes wegen begonnen wird, ist zu prüfen, ob der Erblasser zum einen testierfähig und zum anderen in seiner Testierfreiheit nicht eingeschränkt ist.
Rz. 140
Eine Definition der Testierfähigkeit enthält das Gesetz nicht. Das OLG Frankfurt hat wie folgt entschieden:
Zitat
"Unter der Testierfähigkeit ist die Fähigkeit zu verstehen, ein Testament zu errichten, abzuändern oder aufzuheben. Sie ist zwar ein Unterfall der Geschäftsfähigkeit, gleichwohl aber unabhängig von ihr geregelt (§ 2229 BGB); vgl. BayObLG FamRZ 1994, 593. Sie setzt die Vorstellung des Testierenden voraus, dass er ein Testament errichtet und welchen Inhalt die darin enthaltenen letztwilligen Verfügungen aufweisen. Er muss in der Lage sein, sich ein klares Urteil zu bilden, welche Tragweite seine Anordnungen haben, insbesondere welche Wirkungen sie auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen ausüben. Das gilt auch für die Gründe, welche für und gegen die sittliche Berechtigung der Anordnung sprechen. Nach seinem so gebildeten Urteil muss der Testierende frei von Einflüssen etwa interessierter Dritter handeln können (BGH FamRZ 1958, 127; OLG Hamm OLGZ 1989, 271, 273; BayObLG FamRZ 1994, 593, 594; BayObLGZ 1995, 383 = FamRZ 1996, 566 = NJW-RR 1996, 457; OLG Köln FamRZ 1994, 1135 = NJW-RR 1994, 396 = ErbPrax 1994, 232; std. Rspr. des Senats, zuletzt FamRZ 1996, 635 = OLG-Report Frankfurt/M. 1995, 260, und FamRZ 1996, 970 = NJW-RR 1996, 1159 = OLG-Report Frankfurt/M. 1996, 117)."
Rz. 141
Die Frage der Testierfähigkeit ist in den §§ 2229 ff. BGB geregelt. Testierfähigkeit muss im Zeitpunkt der Testamentserrichtung vorliegen. Der Abschluss der Verfügung ist insoweit entscheidend. Abschluss bedeutet in diesem Zusammenhang beim notariellen Testament Abschluss der Niederschrift durch deren Genehmigung und Unterzeichnung. Beim eigenhändigen Testament ist dies der Zeitpunkt der Unterschrift. Wird der Erblasser nach Testamentserrichtung testierunfähig, ist dies unbeachtlich. Grundsätzlich kann ein Testament errichten, wer das 16. Lebensjahr vollendet hat (§ 2229 Abs. 1 BGB). Zum Abschluss eines Erbvertrags ist allerdings eine unbeschränkte Geschäftsfähigkeit, somit die Vollendung des 18. Lebensjahres, notwendig (§ 2275 Abs. 1 BGB). Hierbei ist die Ausnahme zu beachten, dass ein Minderjähriger mit Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters mit seinem Ehegatten einen Erbvertrag abschließen kann (§ 2275 Abs. 2 BGB).
Der Minderjährige ist zwar unbeschränkt testierfähig, ein eigenhändiges Testament kann er jedoch nicht errichten. Die Testamentserrichtung ist nur durch eine Erklärung gegenüber einem Notar oder durch Übergabe einer offenen Schrift möglich.
Rz. 142
Nicht testierfähig sind Personen, die infolge krankhafter Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörungen (§ 2229 Abs. 4 BGB) nicht in der Lage sind, die Bedeutung einer von ihnen abgegebenen Erklärung zu erkennen. Das gesamte Krankheits- und Persönlichkeitsbild muss im Einzelfall untersucht werden, um die Frage zu klären, ob eine Geisteskrankheit oder Geistesschwäche zur Testierunfähigkeit führt. Bei bestimmten Krankheiten geht die Rechtsprechung allerdings von Testierunfähigkeit aus. Bei der Testierfähigkeit handelt es sich insoweit um einen Unterfall der Geschäftsfähigkeit bzw. bei der Testierunfähigkeit um einen Unterfall der Geschäftsunfähigkeit. Der Erblasser ist dann testierfähig, wenn er die allgemeinen Vorstellungen über die Errichtung einer Verfügung von Todes wegen hat. Daneben muss er sich auch über die Tragweite und die Auswirkungen auf die Verhältnisse des Betroffenen sowohl in persönlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht im Klaren sein.
Rz. 143
Stand der Erblasser unter Betreuung, sagt dies nichts über seine Testierfähigkeit aus. Verfügungen von Todes wegen können nicht dem Aufgabenkreis eines Betreuers unterstellt werden. Durch eine betreuungsgerichtliche Anordnung kann die Testierfähigkeit des Betreuten nicht beschränkt werden. Im Übrigen kann das Betreuungsgericht keine Einschränkung der Testamentsform anordnen. Der unter Betreuung stehende Erblasser kann sich jeder Testamentsform bedienen, es sei denn, er ist sprach- oder leseunfähig. In den Fällen, in denen der unter Betreuung stehende Erblasser sog. "lichte Momente" hat, kann er ohne weiteres während einer solchen Phase ein wirksames Testament errichten. War eine Person wegen Geistesschwäche entmündigt und wird danach unter Betreuung gestellt mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge, kann dennoch von Testierfähigkeit auszugehen sein. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Person lediglich unter einer Lernschwäche gelitten hat. Problematisch in diesen Fällen ist allerdings in der Regel die Beweislage. Bei Personen, die rauschgiftsüchtig sind oder unter Psychopathie leiden, ist es grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass diese testierfähig sind. Wurde allerdi...