Rz. 50
Wird eine Einigung über in diesem Verfahren nicht anhängige Gegenstände geschlossen, erhält der Anwalt die Einigungsgebühr und gegebenenfalls weitere Gebühren aus dem Mehrwert nur, wenn die Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe sich auch auf den Mehrwert der Einigung erstreckt (zur Erstreckung nach § 48 Abs. 3 RVG siehe § 28 Rdn 371 ff.).
Rz. 51
Wird ein solcher Mehrwertvergleich geschlossen, erstreckt sich die bewilligte Prozess- und Verfahrenskostenhilfe aber nicht automatisch auf den Mehrwert des Vergleichs. Hier muss zusätzlich beantragt werden, die Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe auf den Mehrwert des Vergleichs zu erstrecken. Dieser Antrag muss spätestens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden. Er kann hiernach nicht mehr nachgeholt werden. Nach Abschluss der Instanz ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht mehr möglich. Eine Ausnahme nimmt die Rspr. dann an, wenn Prozesskostenhilfe beantragt ist und vor der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag zwischen den Parteien ein gerichtlicher Vergleich geschlossen wird, der auch bisher nicht rechtshängige Gegenstände erfasst, In diesem Fall sei regelmäßig davon auszugehen, dass die finanziell unbemittelte Partei Prozesskostenhilfe nicht nur für die bereits rechtshängigen Streitgegenstände begehrt, die durch diesen Vergleich erledigt werden, sondern auch für die weiteren durch den Vergleich miterledigten Streitpunkte.
Rz. 52
Hinsichtlich der Höhe gelten zunächst keine Besonderheiten. Es ist auch hier darauf abzustellen, ob der Gegenstand, über den sich die Parteien einigen, nicht anhängig oder lediglich in einem selbstständigen Beweisverfahren anhängig ist (dann 1,5 nach Nr. 1000 Nr. 1 VV) oder ob er anderweitig anhängig ist – mit Ausnahme eines selbstständigen Beweisverfahrens – (dann 1,0 nach Nr. 1003 VV oder 1,3 nach Nr. 1004 VV bei Anhängigkeit in einem Berufungs- oder Revisionsverfahren oder einem Beschwerdeverfahren nach Vorbem. 3.2.1, 3.2.2 VV oder einem gleich gestellten Verfahren).
Rz. 53
Nach der Neufassung der Anm. S. 1 zu Nr. 1003 VV aufgrund des KostRÄG 2021 ist jetzt klargestellt, dass die Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den Mehrwert eines Vergleichs über nicht anhängige Gegenstände nicht zur Reduzierung der Einigungsgebühr führt, sondern, dass es ungeachtet bei einer 1,5-Gebühr nach Nr. 1000 Nr. 1 VV bleibt. Der bis dahin ergangenen gegenteiligen Rspr. ist aufgrund der Neufassung der Nr. 1003 VV der Boden entzogen. Lediglich das LAG München ignoriert die neue Gesetzeslage.
Beispiel 24: Einigung über nicht anhängige Gegenstände, Erstreckung der Prozesskostenhilfe
In einem Räumungsrechtsstreit ist dem Beklagten Prozesskostenhilfe bewilligt worden (Wert: 6.000,00 EUR). Im Termin zur mündlichen Verhandlung einigen sich die Parteien über die Auflösung des Mietverhältnisses. Gleichzeitig einigen sich die Parteien auch über die Abgeltung von Renovierungsmaßnahmen sowie die Abrechnung der Mietkaution (Wert: 2.000,00 EUR). Das Gericht erstreckt die Prozesskostenhilfe auch auf den Abschluss des Vergleichs.
Die Einigungsgebühr entsteht aus der Hauptsache lediglich zu 1,0 (Nr. 1003 VV); aus dem Mehrwert entsteht dagegen die 1,5-Einigungsgebühr nach Nr. 1000 Nr. 1 VV. Die Erstreckung der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe auf die Einigung ist unbeachtlich und führt nicht zu einer Ermäßigung des Gebührensatzes (Anm. S. 1 zu Nr. 1003 VV).
Lediglich nach Auffassung des LAG München wäre nur eine 1,0-Einigungsgebühr angefallen.
Rz. 54
Anders verhält es sich, wenn hinsichtlich der weiter gehenden Ansprüche bereits ein Prozess- oder Verfahrenskostenhilfeantrag zur Durchführung des Verfahrens gestellt war.
Beispiel 25: Einigung über nicht anhängige Gegenstände, Antrag auf Prozesskostenhilfebewilligung bereits gestellt
In einem Rechtsstreit (Wert: 7.000,00 EUR) beantragt der Beklagte Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Widerklage über 3.600,00 EUR. Im Termin schließen die Parteien einen Vergleich über die Klageforderung und beziehen darin auch die beabsichtigte Widerklageforderung ein.
Da über die mitverglichene Forderung bereits ein Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe anhängig war, entsteht die Einigungsgebühr nach allen Auffassungen insgesamt lediglich zu 1,0 (Anm. Abs. 1 S. 1 zu Nr. 1003 VV).
Rz. 55
Strittig war lange Zeit, ob der Anwalt bei Abschluss eines Mehrwertvergleichs auch die Verfahrens(differenz)gebühr und die Terminsgebühr aus dem Mehrwert erhält. Der BGH hatte zwischenzeitlich klargestellt, dass sich die Erstreckung auf alle Gebühren bezieht, also nicht nur auf die Einigungsgebühr, sondern auch auf die Verfahrensdifferenzgebühr und die höhere Terminsgebühr und dass eine auf die Einigungsgebühr beschränkte Bewilligung nicht zulässig ist. Diese Rechtslage ist zwischenzeitlich in § 48 Abs. 1 S. 2 RVG gesetzlich verankert worden.
Beispiel 26: Einigung über nicht anhängige Gegenstände, Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf Verfahrens- und Terminsgebühr