Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 1050
Hat der Auszubildende schriftlich und rechtzeitig innerhalb der Drei-Monats-Frist seine Weiterbeschäftigung verlangt, kann der Arbeitgeber spätestens bis zum Ablauf von zwei Wochen nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses beim ArbG beantragen, dass ein Arbeitsverhältnis nicht begründet bzw. aufgelöst wird, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund deren dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände die Weiterbeschäftigung nicht zugemutet werden kann (§ 78a Abs. 4 BetrVG). Die Zwei-Wochen-Frist ist eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist. Nach Ablauf dieser Frist kann das Arbeitsverhältnis nur noch gem. den allgemeinen Regelungen aufgelöst werden.
Rz. 1051
Das Gesetz verwendet damit eine ähnliche Formulierung wie § 626 Abs. 1 BGB (BAG v. 16.1.1979 – 6 AZR 153/77, DB 1979, 1138; BAG v. 15.12.1983 – 6 AZR 60/83, NZA 1984, 44). Allerdings wird die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht in Bezug genommen und gilt daher nicht (BAG v. 15.12.1983 – 6 AZR 60/83, NZA 1984, 44).
Rz. 1052
Es müssen durch konkrete Tatsachen belegbare besonders schwere Gründe vorliegen, die den individualrechtlichen Anspruch des Auszubildenden auf Weiterbeschäftigung ausschließen bzw. die Auflösung eines bereits begründeten Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. In Betracht kommen verhaltensbedingte, persönliche sowie betriebliche Gründe:
Die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung i.S.d. § 78a Abs. 4 BetrVG kann auf persönlichen Gründen beruhen. Hierbei müssen aber schwerwiegende Fälle z.B. der Arbeitsverweigerung oder gar Straftaten gegen den Arbeitgeber vorliegen.
Die Unzumutbarkeit kann auch auf dringenden betrieblichen Gründen beruhen. Dies ist anzunehmen, wenn zum Zeitpunkt der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses keine freien, ausbildungsgerechten Arbeitsplätze vorhanden sind. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen ist auf die Verhältnisse im Unternehmen und nicht auf die im Betrieb abzustellen. Dem Arbeitgeber ist die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar, wenn er im Bereich des Unternehmens über freie Arbeitsplätze verfügt.
Rz. 1053
Bessere Prüfungsnoten von anderen nicht durch § 78a BetrVG geschützten Auszubildenden begründen deshalb keine Unzumutbarkeit aus dringenden betrieblichen Gründen. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, besondere Anstrengungen zu unternehmen, um den Auszubildenden weiterbeschäftigen zu können. Dazu gehören alle organisatorischen Maßnahmen, die ohne erhebliche kostenmäßige Auswirkungen oder Benachteiligung anderer Arbeitnehmer durchgeführt werden können. Ein freier Arbeitsplatz, der eine Weiterbeschäftigung ermöglicht, liegt allerdings nur vor, wenn die geforderte Arbeitsaufgabe dem Leistungsstand und -profil des Auszubildenden zum Zeitpunkt der Übernahme entspricht.
Rz. 1054
Ist ein Auszubildender hilfsweise bereit, zu anderen als den sich aus § 78a BetrVG ergebenden Arbeitsbedingungen in ein Arbeitsverhältnis übernommen zu werden, muss er dies dem Arbeitgeber unverzüglich nach dessen Erklärung nach § 78a Abs. 1 BetrVG, spätestens mit seinem Übernahmeverlangen nach § 78a Abs. 2 BetrVG, mitteilen. Eine Einverständniserklärung im gerichtlichen Verfahren genügt nicht. Hat der Auszubildende rechtzeitig erklärt, ggf. auch zu anderen Bedingungen zu arbeiten, muss der Arbeitgeber prüfen, ob die anderweitige Beschäftigung möglich und zumutbar ist. Unterlässt er die Prüfung oder verneint er zu Unrecht die Möglichkeit und die Zumutbarkeit, kann das nach § 78a Abs. 2 BetrVG entstandene Arbeitsverhältnis nicht nach § 78a Abs. 4 BetrVG aufgelöst werden (BAG v. 6.11.1996 – 7 ABR 54/95, EzA § 78a BetrVG 1972 Nr. 24).
Rz. 1055
Das Vorhandensein eines nur befristet zur Verfügung stehenden Arbeitsplatzes bzw. eines Teilzeitarbeitsarbeitsplatzes macht die auf unbefristete Einstellung gerichtete Weiterbeschäftigung nicht zumutbar (BAG v. 24.7.1991 – 7 ABR 68/90, NZA 1992, 174). Künftige Personaleinsparungen sind ohne Bedeutung. Der Arbeitgeber ist aber nicht verpflichtet, durch organisatorische Maßnahmen im Betrieb für einen freien Arbeitsplatz zum Zeitpunkt der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses Sorge zu tragen (BAG v. 24.7.1991 – 7 ABR 68/90, NZA 1992, 174) oder gar einen anderen Arbeitsplatz freizukündigen (BAG v. 16.1.1979 – 6 AZR 153/77, DB 1979, 1138). Wird allerdings ein Arbeitsplatz in absehbarer Zeit frei, ist der Arbeitgeber verpflichtet, diesen Arbeitsplatz mit dem Auszubildenden zu besetzen.