Rz. 837
Denkbare Steuerumgehungen werden durch § 6 Abs. 4 GrEStG vermieden. Die Vorschrift verhindert die Inanspruchnahme der Steuerbefreiungen der Absätze 1 bis 3, wenn innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb bzw. Hinzuerwerb einer Gesamthandsbeteiligung Grundstücke von der Gesamthand auf einen der Gesamthänder übertragen werden. Die Vorschrift ist so formuliert, dass die Absicht der Steuerumgehung nicht zu den Tatbestandsmerkmalen gehört. Vielmehr entfallen die nach § 6 Abs. 1 bis 3 GrEStG möglichen Steuerbefreiungen im Wege einer typisierenden Betrachtung immer dann, wenn der erwerbende Gesamthänder (im Falle des Erwerbs durch Erbfolge sein Rechtsvorgänger) seinen Anteil an der Gesamthand innerhalb von zehn Jahren vor dem in Rede stehenden Erwerbsvorgang durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben hat. Dem Erwerb steht die Vereinbarung einer von den Beteiligungsverhältnissen abweichenden Auseinandersetzungsquote gleich. Die Steuerbefreiung entfällt allerdings nicht für alle Gesamthänder, sondern nur insoweit, wie auf einen oder mehrere Gesamthänder der Tatbestand des § 6 Abs. 4 GrEStG zutrifft.
Rz. 838
Im Übrigen wird die Vorschrift insoweit einschränkend ausgelegt, als Grundstücksumsätze, die sich innerhalb von zehn Jahren seit der Gründung der Gesamthand ereignen, nicht per se der Besteuerung unterliegen. Wenn die veräußernde Gesamthand noch keine zehn Jahre vor dem Erwerbsvorgang bestanden hat, ist die Sperrfrist des § 6 Abs. 4 grundsätzlich bedeutungslos. Dies gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Beteiligungsverhältnisse seit dem Erwerb des in Rede stehenden Grundstücks durch die Gesamthand unverändert geblieben sind. Ebenso greift § 6 Abs. 4 GrEStG nicht ein, wenn eine Veränderung der prozentuellen Beteiligungsverhältnisse zwar innerhalb der Fünfjahresfrist eintritt, das auf einen der Gesamthänder oder eine andere Gesamthand übergehende Grundstück aber erst nach dieser Veränderung von der Gesamthandsgemeinschaft erworben wurde und sich seitdem die Beteiligungsverhältnisse nicht mehr geändert haben.
Rz. 839
Bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift sind Anteilsveränderungen aufgrund Erbes von Todes wegen für § 6 Abs. 4 GrEStG irrelevant. Der bzw. die Gesamtrechtsnachfolger treten im Hinblick auf die Sperrfrist vielmehr in die Rechtsposition des Erblassers ein. Rechtsprechung und Literatur wenden dieselben Grundsätze auch dann an, wenn der Anteil an der Gesamthand von einem Verwandten in gerader Linie oder von einem Ehegatten des Anteilserwerbers stammt bzw. wenn er durch eine Schenkung unter Lebenden auf die Gesamthänder übergegangen ist. Denn eine objektive Missbrauchsmöglichkeit ist grundsätzlich nicht gegeben, wenn ein dem Anteilserwerb entsprechender Grundstückserwerb nach den allgemeinen Befreiungsvorschriften (§ 3 GrEStG) von der Grunderwerbsteuer ausgenommen wäre.