Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 82
Drohende Rechtsstreitigkeiten können auch im Wege eines außergerichtlichen Vergleichs beigelegt werden. Sogar künftige Beziehungen können geregelt und damit weiterem Streit vorgebeugt werden. Regelmäßig verringert der Vergleich für beide Seiten das Risiko eines (noch größeren) Rechtsverlustes und das Prozesskostenrisiko. Die Parteien brauchen sich nicht auf einen langwierigen Prozess, möglicherweise über mehrere Instanzen, einzustellen. Die Parteien haben sofort Rechtssicherheit, und der Gläubiger kann die geschuldete Leistung gleich verlangen; es sei denn, der Vergleich sieht etwas anderes vor.
Rz. 83
Nach § 1 Abs. 3 BORA ist der Rechtsanwalt zur Streitschlichtung verpflichtet. Gemäß Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG, Vergütungsverzeichnis Nr. 1000 besteht mit einer 1,5 Einigungsgebühr ein gebührenrechtlicher Anreiz für den Rechtsanwalt zu außergerichtlicher Konfliktschlichtung. Im Fall einer Zahlungsvereinbarung beträgt die Einigungsgebühr nach Nr. 2 aber lediglich eine 0,7-Gebühr. Eine Zahlungsvereinbarung liegt vor, wenn die Erfüllung eines (unstreitigen) Anspruchs bei gleichzeitigem vorläufigem Verzicht auf seine gerichtliche Geltendmachung geregelt wird oder – wenn bereits ein zur Zwangsvollstreckung geeigneter Titel vorliegt – bei gleichzeitigem vorläufigem Verzicht auf Vollstreckungsmaßnahmen. Eine 1,5-Einigungsgebühr nach Nr. 1 kann daher nur noch im Fall streitiger Forderungen anfallen.
Zudem regelt Nr. 1000 Anm. Abs. 1 S. 1 VV RVG, dass der Anfall einer 1,5-Einigungsgebühr nach Nr. 1 ausgeschlossen ist, wenn der Hauptanspruch anerkannt oder wenn auf ihn verzichtet wird. Wird der Hauptanspruch anerkannt und eine Zahlungsvereinbarung getroffen, kommt nur die niedrigere 0,7-Einigungsgebühr nach Nr. 1000 Nr. 2 VV RVG in Betracht, wobei der Gegenstandswert 50 Prozent des Anspruchs beträgt, § 31b RVG.
Rz. 84
Mit dem Vermitteln und Verhandeln durch Verträge und Vergleiche hat sich das Berufsbild des Rechtsanwalts vom in Prozessen "kompromisslos Mandanteninteressen durchsetzenden Mietmaul" zum vollziehend und gestaltend Handelnden im Rechtsleben gewandelt. Diese Entwicklung spiegelt sich darin wider, dass – wohl durchaus mit Erfolg – Streitigkeiten durch Schlichtung, Mediation oder Schiedsverfahren bereinigt werden.
Rz. 85
Ein Vergleich, der die Interessenlage des Mandanten berücksichtigt, kann nur auf der Grundlage einer gutachterlichen Prüfung des Rechtsanwalts getroffen werden. Wie sonst auch, muss der Rechtsanwalt den Sachverhalt aufklären und die Rechtslage berücksichtigen sowie fehlende Informationen einholen. Er muss die wahre Interessenlage des Mandanten – das sogenannte Mandantenbegehren – erforschen. Dann muss der Rechtsanwalt anhand der Beweissituation und unter Berücksichtigung der möglicherweise streitigen Rechtslage die Erfolgsaussichten für den Prozessfall prüfen. Anhand dieses Gutachtens lässt sich der minimale und maximale Prozesserfolg absehen.
Rz. 86
Ein Rechtsanwalt ist innerhalb der Grenzen des ihm erteilten Mandats verpflichtet, seinen Auftraggeber umfassend und erschöpfend zu belehren, um ihm eine eigenverantwortliche, sachgerechte Entscheidung darüber zu ermöglichen, wie er seine Interessen in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zur Geltung bringen will. Die Vor- und Nachteile sind darzulegen, insofern empfiehlt sich aus Haftungsgründen, schriftliche Hinweise zu geben bzw. eigene Notizen über die Beratung anzufertigen.
Ungenügend ist dagegen, wenn der Rechtsanwalt dem Mandanten eine "offene Rechtslage" oder ein "bestehendes Risiko" offenbart. Dies gilt auch, wenn lediglich die Höhe des Anspruchs des Mandanten, wie z.B. beim Schmerzensgeld, ungewiss ist. Zur Vorbereitung eines Vergleichs ist es auch erforderlich, die Interessen des Gegners einzuschätzen, zumal es sinnlos ist, nicht realisierbare Mandantenwünsche vorzuschlagen.
Rz. 87
Der Vergleich kommt nur in Betracht, wenn das Ausgangsrechtsverhältnis für die Parteien disponibel ist. Zwingende gesetzliche Vorschriften sind zu beachten. Über den Nachlass eines noch lebenden Dritten kann gemäß § 311b Abs. 4 S. 1 BGB nicht verfügt werden, ebenso wenig über den gesetzlichen Unterhaltsanspruch für Kinder oder den künftigen Ehegattentrennungsunterhalt, § 1614 BGB. Unabdingbar sind teilweise arbeitsrechtliche Ansprüche, z.B. nach §§ 12 EntgFG, 13 BUrlG. Schon an einen Dritten übergegangene Ansprüche können zwischen den Parteien nicht mehr verglichen werden, so etwa bei Unterhaltsansprüchen, die gemäß § 94 Abs. 1 S. 1 SGB XII auf den Sozialhilfeträger übergegangen sind.
Rz. 88
Eine besondere Form ist für den Vergleichsabschluss nicht erforderlich. Eine schriftliche Ausarbeitung zu Beweiszwecken ist aber selbstredend dringend zu empfehlen. Der Vergleichstext ist mit einem eindeutigen und vollstreckungsfähigen Wortlaut abzufassen. Der Vergleichsvorschlag ist so knapp wie möglich, aber auch so ausführlich wie nötig und so exakt zu formulieren, dass unterschiedliche Interpretationen ausgeschlosse...