1. Anspruchsinhaber
a) Jeder Wohnungseigentümer
Rz. 57
§ 20 Abs. 2 WEG fasst den Kreis der Anspruchsberechtigten außerordentlich weit. Demnach kann jeder Wohnungseigentümer bauliche Veränderungen nach § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–4 WEG verlangen, unabhängig davon, ob er selbst etwa behindert ist, Einbrüche fürchten muss oder ein elektrisches Fahrzeug laden will. Zudem soll ein Anspruch auf Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Gebrauch durch Behinderte nicht von der Eigentümerstellung abhängen. Der Wohnungseigentümer soll diese baulichen Veränderungen auch dann fordern können, wenn die Maßnahme einem Familienmitglied in seiner Einheit zugute kommt. Ausgeschlossen sind als Anspruchsberechtigte somit nur Nutzer außerhalb der Eigentümergemeinschaft wie Nießbrauchsberechtigte, Mieter und sonstige Drittnutzer. Dies ist ebenfalls konsequent, weil sie sich an den Eigentümer der Einheit wenden können, dem der Anspruch zusteht.
b) Teleologische Reduktion
Rz. 58
Auch wenn die Anspruchsberechtigung bewusst nicht von einem eigenen Bedarf des Wohnungseigentümers abhängig gemacht wurde, erscheint die unbeschränkte Möglichkeit jedes Miteigentümers, jegliche Maßnahme nach § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–4 WEG fordern zu können, erheblich zu weit gefasst. Dem Wortlaut der Vorschrift nach könnte jeder Wohnungseigentümer unabhängig von einem konkreten Bedarf etwa die Gestattung einer jeden Maßnahme verlangen, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderung dient. Damit könnten Rollstuhlrampen, Treppenlifte, Orientierungshilfen und jede denkbare Hilfe für jegliche Art von Behinderung verlangt werden, selbst wenn kein Bewohner an einer entsprechenden Behinderung leidet. Dies würde, auch wenn die Kosten nach § 21 Abs. 1 S. 1 WEG nur dem Anspruchsteller zur Last fallen, zu einer Veränderung des Gemeinschaftseigentums führen, die jedenfalls zur Zeit des Einbaus keinem Bewohner einen Nutzen bringt, aber alle, insbesondere durch Entzug von Bewegungsmöglichkeiten in den meist ohnehin nicht üppig bemessenen Zugangsflächen benachteiligen. Man wird im Wege einer teleologischen Reduktion der Vorschrift zumindest verlangen müssen, dass der Anspruchsteller einen Nutzen von der geforderten baulichen Veränderung für sich oder einen sonstigen Nutzer seiner Einheit geltend macht. Er muss mindestens darlegen, dass die bauliche Veränderung dem Gebrauch eines Wohnungseigentümers dient, dass Einbruchsgefahr besteht etc. Ansonsten fehlt es an der Anspruchsberechtigung, weshalb ein Beschlussantrag zurückgewiesen werden kann und eine Beschlussersetzungsklage nach § 44 Abs. 1 S. 2 WEG unzulässig wäre. Dass der Anspruchsteller auf die begehrte bauliche Veränderung angewiesen ist, muss er dagegen nach den Ausführungen der Materialien zu § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 WEG ausführt, nicht darlegen. Dies ergibt sich schon daraus, dass sie den in § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–4 WEG genannten Zwecken nur dienen muss.
2. Eignung zum privilegierten Zweck
Rz. 59
Die begehrte bauliche Veränderung muss dem privilegierten Zweck lediglich "dienen". Wie die Gesetzesmaterialien in Zusammenhang mit baulichen Veränderungen zugunsten behinderter Bewohner betonen, erfordert dies nicht, dass der Bewohner auf die Maßnahme angewiesen ist. Es genügt bereits, wenn sie zu dem privilegierten Zweck sinnvoll ist, dem Gebrauch des Wohnungseigentums also förderlich ist. Diese niedrigen Schranken überwinden lediglich solche baulichen Veränderungen nicht, die zur Erreichung dieses Zieles objektiv ungeeignet sind. Das wird allenfalls in solchen Fällen Bedeutung erlangen, in denen ein Wohnungseigentümer mit der baulichen Veränderung andere als die in § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–4 WEG genannten Ziele verfolgt. Anderenfalls wird ihm gerade angesichts der Kostenlast nach § 21 Abs. 1 S. 1 WEG selbst daran gelegen sein, zur Erreichung dieses Zwecks geeignete Maßnahmen zu ergreifen.
3. Angemessenheit
a) Stellungnahme der Gesetzesmaterialien
Rz. 60
Der einzelne Wohnungseigentümer kann nur "angemessene" bauliche Veränderungen verlangen. Dazu, was darunter zu verstehen sein soll, äußern sich die Gesetzesmaterialien nur ein einziges Mal und das nur in zumindest irreführender Weise. Im Zusammenhang mit dem zu weit gehenden Ausschluss der Nutzung von Gemeinschaftseigentum als Stellfläche bei der Ladung von E-Fahrzeugen äußern die Gesetzesmaterialien die Einschätzung, die Herstellung von Lademöglichkeiten sei unangemessen, wenn dem Anspruchsteller nicht das Recht zum Abstellen seines Fahrzeugs in deren Nähe zustünde. Dies dürfte im Hinblick auf die Möglichkeit einer Gebrauchsregelung nach § 19 Abs. 1 WEG von vorneherein zu weit gehen. Selbst wenn man die diesbezügliche Sichtweise der Gesetzesmaterialien teilt, ginge es nicht um eine Frage der Angemessenheit. Die Lademöglichkeit würde dann schon nicht dem in § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WEG vorausgesetzten Zweck dienen. Da das einzige Beispiel zur (fehlenden) Angemessenheit in den Gesetzesmaterialien unrichtig gewählt ist, erlangt man aus ihnen somit keinen Aufschluss darüber, was der Gesetzgeber mit diesem unbestimmten Rechtsbegriff gemeint haben könnte.