Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 766
Nach der Rspr. (vgl. BAG v. 11.11.1998 – 7 ABR 47/97, juris: Telefonvermittlungsanlage) ist Unmöglichkeit nicht nur bei Angelegenheiten anzunehmen, deren Regelung den Einzelbetriebsräten objektiv unmöglich ist. Zuständig ist der Gesamtbetriebsrat auch dann, wenn ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche oder jedenfalls betriebsübergreifende Regelung besteht, wobei auf die Verhältnisse des einzelnen Unternehmens und der konkreten Betriebe abzustellen ist (BAG v. 30.8.1995 – 1 ABR 4/95, juris).
Rz. 767
Erforderlich ist, dass es sich zum einen um eine mehrere Betriebe betreffende Angelegenheit handelt und dass zum anderen objektiv ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche oder betriebsübergreifende Regelung besteht. Dabei bestimmt sich das Vorliegen eines zwingenden Erfordernisses nach Inhalt und Zweck des Mitbestimmungstatbestandes, der einer zu regelnden Angelegenheit zugrunde liegt. Maßgeblich sind stets die konkreten Umstände. Allein der Wunsch des Arbeitgebers nach einer unternehmenseinheitlichen Regelung, sein Kosten- oder Koordinierungsinteresse oder reine Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte genügen nicht, um die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zu begründen (BAG v. 18.7.2017 – 1 ABR 59/15, juris: für Fragen des Gesundheitsschutzes im Zusammenhang mit dem Raumklima).
Rz. 768
Die originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats muss sich auf die Behandlung einer Angelegenheit beziehen. Betreffen Regelungsmaterien unterschiedliche Mitbestimmungstatbestände, folgt aus der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für die eine Angelegenheit (hier: Dienstkleidung) nicht auch die Zuständigkeit für die andere (hier: Raumklima; BAG v. 18.7.2017 – 1 ABR 59/15, juris).
Rz. 769
Eine sachliche Notwendigkeit für eine einheitliche Regelung muss sich bei vernünftiger Würdigung ergeben; in diesem Fall kann auch eine Betriebsvereinbarung – hier: nach einem Betriebsübergang – durch Gesamtbetriebsvereinbarung abgeändert werden (BAG v.21.1.2003 – 3 ABR 26/02 – für den Bereich betrieblicher Altersversorgung und die Änderung unternehmenseinheitlicher Ruhegeldrichtlinien). Allerdings begründet nicht schon der wirtschaftliche Zwang zur Sanierung eines Unternehmens die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates zur Aufhebung einer von einem Einzelbetriebsrat abgeschlossenen Kontoführungspauschale (BAG v. 15.1.2002 – 1 ABR 10/01).
Rz. 770
Die Zuständigkeit kann auch auf einer "subjektiven Unmöglichkeit" einer einzelbetrieblichen Regelung beruhen. Dies ist dann der Fall, wenn der Arbeitgeber im Bereich der freiwilligen Mitbestimmung zu einer Maßnahme nur unternehmenseinheitlich bereit ist. Dies gilt vor allem bei der Gewährung freiwilliger Zulagen. Wenn der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei darüber entscheiden kann, ob er eine Leistung überhaupt erbringt, dann kann er sie von einer überbetrieblichen Regelung abhängig machen und so die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates herbeiführen (BAG v. 9.11.2021 – 1 AZR 206/20, juris, Jahresprämie; BAG v. 26.4.2005 – 1 AZR 76/04, juris, für die Einführung einer Leistungsprämie; BAG v. 10.10.2006 – 1 ABR 59/05, juris, für Regelung von Wege- und Fahrtzeiten von Außendienstmitarbeitern). Allerdings kann der Arbeitgeber, sofern er zu einer die Arbeitnehmer belastenden Regelung der nicht erzwingbaren Zustimmung des Betriebsrates bedarf, nicht über das hierfür zuständige Gremium disponieren. Die für freiwillige Leistungen entwickelte Theorie der "subjektiven Unmöglichkeit" findet hierfür keine Anwendung (BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 454/06, juris).
Rz. 771
Diese Ausnahme bei subjektiver Unmöglichkeit gilt nicht für den Bereich erzwingbarer Mitbestimmung. Daher wird der Gesamtbetriebsrat in Angelegenheiten, die nach § 87 Abs. 1 BetrVG in vollem Umfang der Mitbestimmung unterliegen, nicht bereits deshalb zuständig, weil ein die mitbestimmungspflichtige Angelegenheit regelnder Tarifvertrag lediglich freiwillige ergänzende Betriebsvereinbarungen zulässt und der Arbeitgeber nur zum Abschluss einer unternehmenseinheitlichen Betriebsvereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat bereit ist (BAG v. 9.12.2003 – 1 ABR 49/02, juris). Er ist auch nicht deswegen zuständig, weil der Arbeitgeber eine unternehmensweit einheitliche Vergütungsordnung für AT-Angestellte schaffen will (BAG v. 18.5.2010 – 1 ABR 96/08, juris; BAG v. 23.3.2010 – 1 ABR 82/08, juris, mit der Begründung, der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz begrenze die Regelungsmacht der Betriebsparteien, begründe aber keinen Zwang zur unternehmenseinheitlichen Ausgestaltung von Entlohnungsgrundsätzen für AT-Angestellte; zur Zuständigkeit bei der Aufstellung allgemeiner Beurteilungsgrundsätze nach § 94 Abs. 2 BetrVG vgl. instruktiv BAG v. 17.3.2015 – 1 ABR 48/13, juris).
Rz. 772
Da der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht lediglich bei der Ausgestaltung der Verfahrensgrundsätze einer nach § 13 AGG einzurichtenden Beschwerdestelle besitzt (gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG), steht das Mitbestimmungsrecht dann dem Gesamtbetr...