Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 1304
Trotz Wahrung der Selbstständigkeit des Betriebes und seines Standortes kann nach § 111 S. 3 Nr. 4 BetrVG eine Betriebsänderung vorliegen, wenn die "Betriebsanlagen" grundlegend geändert werden. Die Tatbestände von § 111 S. 3 Nr. 4 und Nr. 5 BetrVG überschneiden sich. Bei § 111 S. 3 Nr. 4 BetrVG steht im Vordergrund, wie die "technischen Hilfsmittel" zur Erledigung bestimmter Aufgaben im Betrieb eingesetzt werden.
Unter Betriebsanlagen i.S.d. § 111 S. 3 Nr. 4 BetrVG sind aber nicht nur Anlagen in der Produktion zu verstehen, sondern allgemein solche, die dem arbeitstechnischen Produktions- und Leistungsprozess dienen (BAG v. 27.6.1989 – 1 ABR 24/88). Mit anderen Worten: Mit dem Begriff "Betriebsanlagen" werden alle technischen Hilfsmittel bezeichnet, die im Arbeitsprozess Verwendung finden, z.B. Produktionsanlagen, Maschinen, Fahrzeuge und EDV-Anlagen.
Rz. 1305
Es sind jedoch nicht alle Arbeitsgeräte erfasst. Gemeint sind nur diejenigen technischen Hilfsmittel, die für das betriebliche Gesamtgeschehen oder einen wesentlichen Betriebsteil von erheblicher Bedeutung sind (BAG v. 26.10.1982 – 1 ABR 11/81, NJW 1983, 2838 = DB 1983, 1766 = EzA § 111 BetrVG 1972 Nr. 15: Auch Datensichtgeräte können Betriebsanlagen sein). Die grundlegende Änderung braucht daher nicht die Gesamtheit der Betriebsanlagen zu erfassen. Es genügt die Änderung einer einzelnen Betriebsanlage, wenn diese in der Gesamtschau für den gesamten Betriebsablauf von Bedeutung ist oder zumindest für einen erheblichen Teil der Belegschaft Nachteile mit sich bringen kann. Auch die Aufgabe eines von mehreren bisher verfolgten Betriebszwecken kann grundlegend sein (LAG Hessen v. 27.6.2007 – 4 TaBVGa 137/07: "Entwicklung von Kleinanlagen" kann prägend sein, wenn der Betrieb nach der Aufgabe zu einem reinen Dienstleistungsbetrieb wird).
Rz. 1306
Beispiel
Ersetzt ein Betrieb, dessen wesentliche Funktion die Verteilung von Waren aus Lägern an Einzelhändler ist, seinen gesamten Fuhrpark durch Lkw, die wegen ihres höheren Gesamtgewichtes nicht mehr wie bisher mit einer Fahrerlaubnis der Klasse 3 gefahren werden dürfen, sondern eine Fahrerlaubnis der Klasse 2 erfordern, so liegt darin eine grundlegende Änderung der Betriebsanlagen, wenn erhebliche Teile der Belegschaft davon betroffen sind (LAG Frankfurt am Main v. 26.2.1982, ARST 1983, 38).
Rz. 1307
Sind von einer solchen oder ähnlichen Maßnahme nur wenige Arbeitsplätze betroffen – die Grenzwerte des § 17 Abs. 1 KSchG können auch hierfür als Ansatzpunkt dienen –, liegt keine grundlegende Änderung der Betriebsanlagen vor. Sind von dem Austausch der bisherigen EDV-Anlage durch eine neue Computeranlage zur Abwicklung des gesamten Angebots- und Kundenbetreuungswesens nur fünf Arbeitsplätze betroffen, dürfte noch keine grundlegende Änderung einer Betriebsanlage anzunehmen sein (Uhlenbruck/Berscheid, §§ 121, 122 InsO Rn 54; a.A. OLG Stuttgart v. 22.11.1984, AuR 1985, 293 = CR 1986, 367).
Rz. 1308
Eine grundlegende Veränderung der Betriebsanlagen liegt dann vor, wenn die einzelne Betriebsanlage von erheblicher Belastung für das Gesamtgeschehen ist. Hierfür kommt es entscheidend auf den Grad der technischen Änderung an, nämlich ob die neue Anlage ggü. den bisher eingesetzten Betriebsmitteln etwas wesentlich Andersartiges darstellt (BAG v. 27.6.1989 – 1 ABR 24/88). So stellt der Austausch alter und abgenutzter Maschinen im Zusammenhang mit dem Bau einer neuen Werkshalle keine grundlegende Änderung dar (LAG Hamm v. 30.5.2008 – 10 TaBVGa 9/08).
Rz. 1309
Beispiel
In einer Druckerei wird die bisherige Rollenoffsetmaschine für den Buchdruck durch eine Bücherrotationsmaschine ersetzt, die eine erhöhte Druckkapazität hat und durch Verbindung mit Weiterverarbeitungsmaschinen die Produktion in einem Arbeitsgang bis hin zum fertigen Buchblock ermöglicht (BAG v. 27.6.1989 – 1 ABR 24/88).