Dr. Alexandra Jorzig, Ilse Dautert
Rz. 5
Im Bereich der Tatbestandsvoraussetzungen einer deliktischen Haftung haben sich durch die Reformgesetze außer der Vorverlagerung des Schmerzensgeldanspruchs in den vertraglichen Bereich keine wesentlichen Änderungen ergeben. Die Tatbestandsvoraussetzungen entsprechen im Wesentlichen denen der vertraglichen Haftung.
Ein Schadensersatzanspruch des Patienten kann sich aus der deliktischen Haftung der § 823 Abs. 1 BGB unabhängig vom Bestehen eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs ergeben. Der Patient kann unmittelbar Ansprüche gegen den Schädiger geltend machen. Dies ergibt sich daraus, dass mit der Behandlungsübernahme eine Garantenstellung des Arztes gegenüber dem Patienten begründet wird, durch die der Arzt für eigene Fehler deliktisch haftet. So ist es möglich, dass ein Schadensersatzanspruch des Patienten gegen den Krankenhausträger aus einer vertraglichen Schadensersatznorm geltend gemacht wird, der Patient zudem auch aus einer deliktischen Haftung gegen den fehlerhaft behandelnden Arzt persönlich vorgeht. Dies ist mangels vertraglicher Beziehung oft die einzige Möglichkeit der Durchsetzung eines Schadensersatzbegehrens des Patienten gegenüber dem behandelnden Arzt, so etwa gegenüber im Krankenhaus angestellten Ärzten oder der Urlaubsvertretung des niedergelassenen Arztes.
Unabhängig von einer ordnungsgemäßen Durchführung und den daraus möglicherweise resultierenden positiven Auswirkungen verwirklicht der ärztliche Heileingriff nach der Konstruktion des deutschen Rechts den Tatbestand einer unerlaubten Handlung. So wird in ständiger Rechtsprechung der Gerichte ausgeführt, dass der ärztliche Heileingriff, auch wenn er ordnungsgemäß durchgeführt wurde, eine Körperverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB, §§ 223 ff. StGB darstelle. Der Eingriff kann jedoch insbesondere durch die ordnungsgemäße Einwilligung des Patienten gerechtfertigt werden. Das Fehlen der Einwilligung oder die Unwirksamkeit der abgegebenen Einwilligungserklärung ist einerseits eine Verletzung des Behandlungsvertrags, andererseits entfällt die Rechtfertigung für die durch die Behandlung verursachte Körperverletzung.
Die für das Arzthaftungsrecht interessanten Rechtsgüter sind neben dem Leben vor allem der Körper und die Gesundheit. Neben diesen beiden im numerus clausus des § 823 Abs. 1 BGB aufgeführten Schutzgütern wird unter "einem sonstigen Recht" auch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten erfasst. Alle von § 823 Abs. 1 BGB erfassten Schutzgüter sind Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, da es dem Individuum freistehen soll, über seinen Körper zu verfügen. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ist hierbei die ureigenste Entscheidungsbefugnis des Menschen über seinen Körper. Es ist vor allem bei einer unzureichenden Aufklärung verletzt und löst einen Anspruch auf Schadensersatz aus, selbst wenn der erfolgte Eingriff eine Heilung der Gesundheit des Patienten ausgelöst hat. Im Arzthaftungsrecht kann eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts z.B. durch einen Verstoß gegen die Schweigepflicht, durch die unzulässige Verwendung von Körpermaterialien oder durch eine gegen die religiöse Überzeugung des Patienten vorgenommene Bluttransfusion begründet werden. Hierunter fällt auch die absprachewidrige Verwendung von Körpersubstanzen (Blut, Haut) oder abgetrennten Organen, bspw. bei der Verwendung zum Zweck der Genomanalyse oder zur Herstellung von Zellkulturen oder Schönheitspräparaten. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht besteht auch nach dem Tod fort. Die Hinterbliebenen des Verstorbenen können aufgrund dessen und wegen des Totensorgerechts Geldentschädigungsansprüche geltend machen, bspw. bei rechtswidriger Organentnahme. Zu den Schutzgütern zählt aber nicht nur das Integritätsinteresse des Patienten; sondern auch die erzeugte, aber noch ungeborene Leibesfrucht (Nasciturus), die sowohl pränatal als in der Geburt durch § 823 Abs. 1 BGB geschützt ist, auch wenn sie grds. nach § 1 BGB erst mit der Vollendung der Geburt die Rechtsfähigkeit erlangt.