Rz. 96
Der BGH hat in der vorgenannten Entscheidung (BGH v. 6.3.2012 – VI ZR 167/11 – r+s 2012, 461) auch noch einmal ausdrücklich auf die ständige Rechtsprechung des BGH (BGH NZV 2017, 226; NZV 2016, 365; NJW-RR 2008, 1520; VersR 2003, 1256; VersR 1999, 1555; VersR 1991, 788) hingewiesen, wonach der Geschädigte bei einem noch in der Entwicklung befindlichen Schaden nicht gehalten ist, seine Klage in eine Leistungs- und eine Feststellungsklage aufzuspalten. Daher ist in geeigneten Fällen in Betracht zu ziehen, vorab eine "reine" Feststellungsklage zur Klärung der Haftung dem Grunde nach zu erheben, z.B. mit folgendem Klageantrag:
Formulierungsbeispiel
"Die Beklagten sind als Gesamtschuldner verpflichtet, dem Kläger sämtliche gegenwärtigen und zukünftigen materiellen (ggf. und immateriellen) Schäden aus dem Verkehrsunfall vom … zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind".
Rz. 97
Dies kann sich taktisch insbesondere in den Fällen anbieten, in denen der gegnerische Haftpflichtversicherer trotz eindeutiger Haftungslage – seinerseits aus taktischen Gründen – nicht bereit ist, in angemessener Zeit eine verbindliche Erklärung zur Haftung dem Grunde nach (Bestätigung der vollen Einstandspflicht) abzugeben. Häufig möchte sich nämlich der Haftpflichtversicherer gerne einen Mithaftungseinwand – sei es aufgrund Mitverschuldens oder auch lediglich der Betriebsgefahr – vorbehalten, um die angeblich ungeklärte Haftung als Argument für eine vergleichsweise Einigung bei der Regulierung der Höhe nach zu verwenden. Will man dem gegnerischen Haftpflichtversicherer exakt diese (rein taktische) Argumentationsmöglichkeit nehmen, sollte frühestmöglich eine entsprechende Feststellungsklage zum Haftungsgrund erhoben werden.
Rz. 98
Deren Zulässigkeit ergibt sich – auch hinsichtlich der bereits eingetretenen und damit grundsätzlich bezifferbaren Schäden – in zweierlei Hinsicht:
Zum einen aufgrund der bereits genannten Rechtsprechung (Rdn 96) dann, wenn der Schaden sich noch in der Entwicklung befindet. Dies kann sich im Bereich des Sachschadens daraus ergeben, dass durch eine noch nicht erfolgte Reparatur oder Wiederbeschaffung hinsichtlich des Fahrzeugs weitere Schäden entstehen (Nutzungsausfall, Mehrwertsteuerbeträge, Ummeldekosten etc.). Doch auch im Bereich des Personenschadens bei geringeren Verletzungen ist dies stets der Fall, wenn die unfallbedingten Beschwerden und die daraus resultierenden Behandlungen noch nicht vollständig abgeschlossen sind.
Rz. 99
Die Entstehung noch künftiger unfallbedingter Schäden kann sich auch schlicht daraus ergeben, dass der Geschädigte beabsichtigt, erst nach einer verbindlichen Klärung der Haftungsfrage weitere Schadenermittlungsaufwendungen zu tätigen, die zur vollständigen Bezifferung des Schadens erforderlich sind, so zum Beispiel beim Personenschaden die Einholung ärztlicher Atteste oder Gutachten, beim Fahrzeugschaden typischerweise die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Auch in diesen Fällen ist die umfassende (alleinige) Feststellungsklage hinsichtlich sämtlicher – das heißt auch gegenwärtiger – Schäden zulässig, weil sich der Schaden (in diesem Fall hinsichtlich der künftigen Schadensermittlungskosten) noch in der Entwicklung befindet.
Rz. 100
In diesem Zusammenhang ist übrigens darauf hinzuweisen, dass nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH allein der Zeitpunkt der Klageerhebung maßgeblich ist, während es unerheblich ist, ob während des Prozesses die Ansprüche bezifferbar werden. Auch dann ist der Geschädigte nicht verpflichtet, insoweit von der Feststellungsklage auf die Leistungsklage überzugehen (BGH VersR 1996, 1253; NJW 1986, 2507).
Rz. 101
Zum anderen ergibt sich die Zulässigkeit einer Feststellungsklage selbst bei einem nicht mehr in der Entwicklung befindlichen – sondern grundsätzlich vollständig bezifferbaren – Schaden dann, wenn sich die Klage gegen einen Versicherer richtet oder ein solcher hinter dem Beklagten eintrittspflichtig ist (BGH NJW-RR 2005, 619). Hierbei handelt es sich um eine anerkannte Ausnahme des Grundsatzes der Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage, der auf dem Gedanken der Prozessökonomie beruht. Bei einem Versicherer wird – ebenso wie bei einer öffentlichen Körperschaft oder Anstalt (BGH NJW 1984, 1118) – davon ausgegangen, dass er sich auch einem entsprechenden Feststellungsurteil beugt, sodass nicht zusätzlich die Erhebung einer Leistungsklage und Schaffung eines vollstreckbaren Titels erforderlich wird.
Rz. 102
Obwohl bei den Instanzgerichten gelegentlich ein wenig "Überzeugungsarbeit" zur Zulässigkeit derartiger Feststellungsklagen zu leisten ist, können sie in geeigneten Fällen empfohlen werden, da die Rechtsprechung des BGH zur Zulässigkeit eindeutig ist. Dem gegnerischen Haftpflichtversicherer wird damit ein gewisser Nachdruck bei der Geltendmachung der Schadensersatzansprüche vermittelt, der die spätere außergerichtliche Regulierung nach rechtskräftiger Feststellung der Haftungsquote durcha...