Rz. 780
Häufig wird ein Rechtsmittel nur fristwahrend eingelegt. Es stellt sich die Frage, welche Gebühren entstehen und auch, welche Gebühren erstattungsfähig sind, wenn die nur fristwahrend eingelegte Beschwerde wieder zurückgenommen wird. Grundsätzlich löst der Antrag, eine Beschwerde kostenpflichtig zurückzuweisen, eine 1,6 Verfahrensgebühr aus. Die Rechtsprechung hält jedoch diese Gebühr in vielen Fällen nicht in voller Höhe für erstattungsfähig. Es kommt meist auf den Zeitpunkt der Rücknahme der Beschwerde (vormals: Berufung) an. Die zu dieser Thematik für die Berufung ergangenen Entscheidungen sind m.E. auf das Beschwerdeverfahren in Familiensachen analog anzuwenden. Grundsätzlich gilt, dass die mit einem Rechtsmittel überzogene verständige Partei nach Ansicht des BGH regelmäßig nicht selbst beurteilen kann, was zur Rechtsverteidigung angemessen zu veranlassen ist, so dass ihr auch nicht zugemutet werden kann, das weitere Vorgehen der anwaltlich vertretenen Gegenseite abzuwarten.
Rz. 781
& Bestellung vor Zustellung der Rechtsmittelschrift
Die Erstattungsfähigkeit von Gebühren ist abzulehnen, selbst wenn die Einlegung eines Rechtsmittels angedroht war, da eine Bestellung zum Prozessbevollmächtigten zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht angezeigt ist.
Allerdings:
"Wird der Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels bereits vor Zustellung der Rechtsmittelbegründung gestellt, das Rechtsmittel aber dann begründet, ist eine 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG VV unabhängig davon erstattungsfähig, ob das Verfahren später durch Rücknahme, durch Sachentscheidung oder in sonstiger Weise beendet wird (Abweichung von BGH NJW 2007, 3723)."
Rz. 782
& Bestellung eines Prozessbevollmächtigten des Rechtsmittelgegners nach Einlegung des Rechtsmittels vor Berufungsbegründung
Wird der Antrag auf Zurückweisung einer Berufung vor Zustellung der Berufungsbegründung gestellt, fällt grundsätzlich nur eine 1,1 – Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 Nr. 1 VV RVG an. Grundsätzlich hält der BGH eine beklagte Partei für berechtigt, sich anwaltlicher Hilfe zu bedienen, wenn gegen ein Obsiegendes Urteil durch die Gegenseite Berufung eingelegt wird. Allerdings hält der BGH die Stellung eines Sachantrags nicht für notwendig (und dafür entstehende Kosten damit nicht für erstattungsfähig), wenn noch gar nicht klar ist, ob die Berufungskläger/in das Verfahren überhaupt fortführen möchte. Dies gilt auch unabhängig davon, ob die Berufung fristwahrend eingelegt wurde oder nicht.
Die Entstehung der Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 für den Anwalt des Rechtsmittelgegners setzt nach Ansicht einiger Gerichte nicht voraus, dass sich dieser bereits zum Verfahren bestellt hat.
Weist das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf § 522 Abs. 1 ZPO auf den verspäteten Eingang der Berufungsbegründung hin und bringt es diesen Hinweis auch dem Berufungsbeklagten zur Kenntnis, hat der Berufungsbeklagte regelmäßig keine Veranlassung, innerhalb der mit dem Hinweis verbundenen Stellungnahmefrist kostenauslösende Maßnahmen zu ergreifen.
Bestellt der Antragsgegner in Unkenntnis der zwischenzeitlichen Antragsrücknahme einen Anwalt, sind die dadurch entstehenden Kosten in Familiensachen erstattungsfähig.
Rz. 783
Praxistipp
Der Rechtsmittelgegner sollte unverzüglich informiert werden (vorab per Fax), wenn eine Berufung zurückgenommen wird, damit er keine kostenauslösenden Maßnahmen mehr ergreift. Denn: Erstattungsfähig sind die Kosten eines Berufungsbeklagten auch dann, wenn ihm bei Erteilung des Auftrags an den Berufungsanwalt nicht bekannt war oder bekannt sein musste, dass das Rechtsmittel bereits zurückgenommen worden war. Die Rechtsprechung sieht es nicht als Aufgabe der Gerichte an, die Rechtsmittelrücknahme dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten telefonisch mitzuteilen.
Rz. 784
& Erstattungsfähigkeit bei "Stillhalteabkommen"
Nicht selten erfolgt durch die Gegenseite die Bitte, sich nicht zu bestellen, da das Rechtsmittel nur fristwahrend eingelegt werde und man noch nicht sicher sei, ob das Rechtsmittelverfahren überhaupt durchgeführt werden soll.
Zu verneinen ist die Erstattungsfähigkeit dann, wenn sich der gegnerische RA verpflichtet hat, der Bitte um Stillhalten nachzukommen. Beantragt dann ein RA dennoch Kostenfestsetzung, handelt er treuwidrig. Schweigt ein RA auf die Bitte des Kollegen, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt "stillzuhalten", so sehen hierin einige Gerichte eine Zustimmung. Besteht Streit darüber, ob ein Stillhalteabkommen vorliegt bzw. ggf. welcher Art ein Stillhalteabkommen ist, so hat der Kostenbeamte die Kostenfestsetzung so durchzuführen, als gäbe es keine dementsprechende Vereinbarung.
Nach einer Entscheidung des BGH gehören die Entgegennahme der Berufungsschrift und die damit verbundene Prüfung von Fragen gebührenrechtlich zur ersten Instanz mit der Folge, dass für diese Tätigkeiten noch keine Verfahrensgebühr für die Berufungsinstanz entsteht und somit eine solche auch nich...