Rz. 79
Zuständig für den Erlass einer einstweiligen Verfügung im Beschlussverfahren ist gem. § 937 ZPO das Gericht der Hauptsache, mithin das ArbG. Ist die Hauptsache bereits in der Berufungsinstanz anhängig, ist Gericht der Hauptsache gem. § 943 Abs. 1 ZPO das Berufungsgericht, somit das LAG. Eine Zuständigkeit der AGe gem. § 942 ZPO scheidet aus (vgl. Rdn 5).
Rz. 80
Da das einstweilige Verfügungsverfahren ein Erkenntnisverfahren und kein Zwangsvollstreckungsverfahren ist, gelten die Vorschriften der §§ 80 ff. ArbGG. Gem. § 83 Abs. 1 ArbGG erforscht das Gericht den Sachverhalt i.R.d. gestellten Anträge von Amts wegen (Amtsermittlungsgrundsatz). Der Amtsermittlungsgrundsatz gilt auch im einstweiligen Verfügungsverfahren (LAG Nürnberg v. 1.4.1999 – 6 Ta 6/99, NZA 2000, 335). Die am Verfahren Beteiligten haben an der Aufklärung des Sachverhaltes mitzuwirken. Das Gericht kann zur Aufklärung des Sachverhaltes gem. § 83 Abs. 3 ArbGG Urkunden einsehen, Auskünfte einholen, Zeugen, Sachverständige und Beteiligte vernehmen und den Augenschein einnehmen. Das Gericht ist auch bei Vorliegen eines Beweisantrages berechtigt, Beweise zu erheben (vgl. LAG München v. 26.8.1992 – 5 TaBV 43/92, BB 1993, 2168).
Rz. 81
Gem. § 937 Abs. 2 ZPO kann in dringenden Fällen die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen. Aus § 85 Abs. 2 S. 2 ArbGG ergibt sich, dass auch in Fällen fehlender Anhörung eine Entscheidung durch die vollbesetzte Kammer zu ergehen hat. § 944 ZPO, der eine Alleinentscheidung des Vorsitzenden in dringenden Fällen vorsieht, findet keine Anwendung (BAG v. 28.8.1991 – 7 ABR 72/90, DB 1992, 380 = NZA 1992, 41).
Rz. 82
Über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird durch Beschl. entschieden. In Anwendung des § 926 ZPO ist auf Antrag des Verfügungsgegners vom ArbG auszusprechen, dass dem Antragsteller eine Frist gesetzt wird, innerhalb derer er das Hauptsacheverfahren anhängig zu machen hat. Der Beschl. ist gem. § 85 Abs. 2 S. 2 ArbGG grds. von Amts wegen zuzustellen. Etwas anderes gilt gem. § 922 Abs. 3 ZPO nur, wenn der Antrag zurückgewiesen wurde. Mit der von Amts wegen erfolgten Zustellung einer Unterlassungsverfügung ist diese i.S.d. § 929 Abs. 2 ZPO auch vollzogen (so die ganz herrschende Meinung, u.a. LAG Berlin v. 12.11.2003 – 3 Ta 2142/03, DB 2003, 2796 = LAGE § 85 ArbGG 1979 Nr. 6; LAG Hamm v. 7.8.1987 – 8 Sa 1369/86, NZA 1987, 825).
Rz. 83
Ist der Antrag ohne mündliche Verhandlung abgewiesen worden, ist hiergegen das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nach § 567 ZPO gegeben (LAG Hessen v. 30.4.1992 – 12 TaBVGa 38/92, BB 1992, 2511 = NZA 1993, 816). Hat das Verfügungsgericht die einstweilige Verfügung ohne mündliche Anhörung erlassen, besteht für den Antragsgegner die Möglichkeit, gem. § 924 ZPO Widerspruch einzulegen. Das Verfügungsgericht entscheidet über diesen Widerspruch nach mündlicher Verhandlung durch Beschluss, § 925 ZPO, § 84 ArbGG.
Rz. 84
Ist über den Antrag nach mündlicher Verhandlung entschieden worden, kann gegen den Beschl. gem. § 87 Abs. 1 ArbGG Beschwerde beim LAG eingelegt werden.
Rz. 85
§ 85 Abs. 2 S. 2 ArbGG bestimmt, dass der Anspruch auf Schadensersatz nach § 945 ZPO ausgeschlossen ist, auch wenn die Anordnung der einstweiligen Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt aufgehoben wird. Der Grund hierfür ist in der Vermögenslosigkeit des Betriebsrates zu erblicken.
Rz. 86
Gem. § 85 Abs. 1 S. 2 ArbGG kann im "normalen" arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren aus erstinstanzlichen, nicht rechtskräftigen Entscheidungen nur dann vorläufig vollstreckt werden, wenn diese vermögensrechtliche Streitigkeiten betreffen. Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten handelt es sich in erster Linie um Streitigkeiten über Sachmittel oder Kosten der Tätigkeit des Betriebsrates. Zu den nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten und somit nicht vorläufig vollstreckbaren Entscheidungen zählen dagegen Auseinandersetzungen über die Beachtung von Beteiligungsrechten des Betriebsrates. § 85 Abs. 1 S. 2 ArbGG findet allerdings im einstweiligen Verfügungsverfahren des arbeitsrechtlichen Beschlussverfahrens keine Anwendung, sodass die einstweilige Verfügung in jedem Fall sofort vollstreckbar ist (LAG Berlin-Brandenburg v. 1.10.2019 – 26 Ta 1701/19, juris; LAG Berlin v. 12.11.2003 – 3 Ta 2142/03, DB 2003, 2796 = LAGE § 85 ArbGG 1979 Nr. 6; Korinth, Einstweiliger Rechtsschutz, H Rn 38).
Rz. 87
Praxistipp
Auch im Beschlussverfahren setzt der Erlass einer einstweiligen Verfügung das Vorhandensein der Voraussetzungen des Verfügungsanspruches, des Verfügungsgrundes sowie der Glaubhaftmachung des Verfügungsanspruches und des Verfügungsgrundes voraus. Der beratende Anwalt sollte erhebliche Mühe auf die korrekte Antragsformulierung verwenden. Die zu unterlassende Handlung ist konkret zu bezeichnen. So reicht es etwa bei einem auf Unterlassung einer Betriebsänderung gerichteten Begehren nicht aus, einen Antrag auf Unterlassung des Ausspruches von Kündigungen aus Anlass der geplanten Betriebsänderung zu stellen....