Marnie Plehn, Peter Hützen
Rz. 69
Nach der noch unter der KO entwickelten Rspr. (grundlegend BAG v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, NJW 1980, 1124 = ZIP 1980, 80; ferner BAG v. 27.4.1988, NZA 1988, 655 = ZIP 1988, 989; a.A. LAG Hamm v. 17.12.1981, NJW 1983, 242 = ZIP 1982, 991; ArbG Wetzlar v. 10.4.1995, ARST 1995, 250 = BB 1995, 1799 = KTS 1996, 120) unterfallen Betriebsveräußerungen in der Insolvenz als rechtsgeschäftliche "Einzelrechtsnachfolge" mit gewissen haftungsrechtlichen Einschränkungen, an denen auch unter der Geltung der InsO festzuhalten ist (BAG v. 20.6.2002, NZA 2003, 318 = NZI 2003, 222 = ZInsO 2003, 139 = ZIP 2003, 222; BAG v. 18.11.2003, NZA 2004, 654 = NZI 2005, 120 = ZInsO 2005, 222 = ZIP 2004, 1011), dem Anwendungsbereich des § 613a Abs. 1 S. 1 BGB. Nach diesen Grundsätzen gilt die Haftung des Betriebserwerbers für rückständige Forderungen (§ 613a Abs. 1 S. 1 BGB) im Insolvenzverfahren nicht, soweit die besonderen Verteilungsgrundsätze des InsR hinsichtlich der Forderungen, die ein Gläubiger als Insolvenzgläubiger geltend zu machen hat (§§ 38, 174 ff. InsO), eingreifen (BAG v. 18.11.2003, NZA 2004, 651 = NZI 2005, 118 = ZInsO 2004, 1325 = ZIP 2004, 1013).
Rz. 70
Nach Art. 5 RL 2001/23/EG gelten die Art. 3 und Art. 4 der sog. Betriebsübergangsrichtlinie generell nicht für Betriebsübergänge in der Insolvenz, "sofern die Mitgliedstaaten nichts anderes vorsehen". Damit stellt sich die Frage, ob die Vorschrift des § 613a Abs. 4 BGB bei Betriebsveräußerungen im Insolvenzfall weiterhin noch gilt oder auf solche Vorgänge nicht (mehr) anwendbar ist. Bei der Beantwortung dieser Frage ist zu berücksichtigen, dass § 613a BGB, der – auch wenn dies vor Schaffung des § 324 UmwG nicht vollständig gelungen war – die nationale Umsetzung der alten Betriebsübergangsrichtlinie RL 77/187/EWG darstellt. Zum anderen ist zu beachten, dass die Änderungs-RL bereits vorhandene bundesdeutsche Regelungen, die eine Anwendung des § 613a BGB im Insolvenzverfahren vorsehen, unberührt lässt. Über § 128 InsO ist die Anwendung des § 613a BGB in der Insolvenz vom Gesetzgeber vorausgesetzt und damit unter der Geltung der alten Betriebsübergangsrichtlinie RL 77/187/EWG anerkannt worden. § 128 InsO setzt denknotwendig die Anwendung des § 613a BGB in der Insolvenz voraus, denn bei Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste erstreckt sich die Vermutung nach § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO auch darauf, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse nicht wegen des Betriebsüberganges erfolgt und damit kein Verstoß gegen § 613a Abs. 4 BGB vorliegt. Solange der Gesetzgeber hier keine Änderung vornimmt, gilt die Vorschrift § 613a BGB – trotz der Regelung des Art. 5 RL 2001/23/EG – auch unter der neuen Betriebsübergangsrichtlinie für Betriebsveräußerungen in der Insolvenz fort (Bergwitz, DB 1999, 2005, 2008; Berscheid, BuW 1999, 75, 77; Hanau/Berscheid, in: Kölner Schrift zur InsO, S. 1541, 1548 Rn 13; s. dazu auch Düwell, FA 1998, 282 ff.; B. Gaul, BB 1999, 526, 529 f.; KDZ/Däubler, § 613a BGB Rn 159; Schaub, ArbRHB, § 93 Rn 89; Sieger/Hasselbach, DB 1999, 430, 431 in Fn 14; KR/Pfeiffer, § 613a BGB Rn 134; Tretow, S. 216; krit. Kempter, NZI 1999, 93, 94;). Allerdings werden die Gerichte für Arbeitssachen die Vorschriften der §§ 613a BGB, 128 InsO im Lichte des Art. 5 RL 2001/23/EG, der zur Erhaltung verbleibender Arbeitsplätze geschaffen worden ist, sanierungsfreundlich und damit sanierungsfördernd auslegen müssen (so unter der Geltung des Art. 4a RL 98/50/EG: LAG Hamm v. 4.4.2000, DZWIR 2000, 244 m. Anm. Franzen = ZInsO 2000, 292).
Rz. 71
Das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 BGB gilt – trotz der bisherigen europarechtlichen Rspr. (EuGH v. 7.2.1985, EWiR 1985, 561 m. Anm. Seiter = ZIP 1985, 824; EuGH v. 7.2.1985, EWiR 1985, 563 m. Anm. Seiter; EuGH v. 25.7.1991, EWiR 1993, 1069 m. Anm. Mönning = KTS 1993, 73; EuGH v. 7.12.1995, KTS 1996, 379 = NZA 1996, 305 = WiB 1996, 744 m. Anm. Kania; s.a. EuGH v. 12.3.1998 – C 319/94, EWiR 1998, 941 m. Anm. Schipp = NZA 1998, 529; EuGH v. 12.11.1998, NZA 1999, 31 = NZI 1999, 147 = ZInsO 1999, 482) – auch weiterhin bei Betriebsveräußerungen im deutschen Insolvenzverfahren (s. zum Meinungsstand Hanau/Berscheid, in: Kölner Schrift zur InsO, S. 1541, 1548 Rn 13, m.w.N.). Das Kündigungsverbot richtet sich sowohl gegen den Insolvenzverwalter als Betriebsveräußerer als auch gegen den Betriebserwerber als neuen Arbeitgeber. Gerade bei einer "übertragenden (Teil-)Sanierung" ist die Gefahr groß, dass Arbeitnehmer sich darauf berufen, sie seien dem veräußerten Betriebsteil zuzuordnen gewesen und die Kündigungen seien ihnen ggü. "wegen" des Betriebsüberganges (§ 613a Abs. 4 S. 1 BGB) ausgesprochen worden (ausführlich zu den Voraussetzungen des Betriebsübergangs siehe § 37 Rdn 1 ff.).
Rz. 72
Ist eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG geplant und kommt zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat ein Interessenausgleich zustande, in dem die zu entlassenden Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet sind, so wird ...