Dr. iur. Tobias Spanke, Walter Krug
Rz. 94
Unter einem Vorausvermächtnis versteht man ein Vermächtnis, das dem oder den Erben selbst zugewandt wird, § 2150 BGB. Es handelt sich hierbei um ein Mittel, einem der Erben einen bestimmten Gegenstand zuzuwenden, ohne dass diesbezüglich eine Anrechnung auf seinen Erbteil erfolgt. Der Vermächtnisnehmer hat bereits vor der Nachlassteilung einen Anspruch gegenüber den übrigen Erben auf Übertragung des vermachten Gegenstands. Bei der Teilung des Restnachlasses erhält der Vermächtnisnehmer dann zusätzlich den "ungekürzten" Anteil am Nachlass entsprechend seiner Erbquote.
Rz. 95
Ein Anwendungsfall des Vorausvermächtnisses ist bspw. das Vorausvermächtnis zugunsten des Vorerben, falls dieser bezüglich bestimmter Nachlassgegenstände vollständig von den Beschränkungen der Nacherbfolge befreit werden soll. § 2110 Abs. 2 BGB bestimmt nämlich, dass sich das Recht des Nacherben im Zweifel nicht auf ein dem Vorerben zugewendetes Vorausvermächtnis erstreckt. Das Vorausvermächtnis gewährt darüber hinaus sowohl dem Allein- als auch Miterben eine Reihe von Vorteilen gegenüber dem Testamentsvollstrecker, dem Nachlassverwalter sowie allgemein im Grundbuchverkehr.
Rz. 96
Der Miterbe kann die Übernahme des ihm durch eine Teilungsanordnung zugewiesenen Gegenstands grds. nicht verweigern.
Rz. 97
Bei Ausschlagung der Erbschaft wird die mit dem Erbteil verbundene Teilungsanordnung gegenstandslos, was bei einem Vorausvermächtnis nicht der Fall ist. Möglich ist aber, dass der Erblasser das Vorausvermächtnis nur unter der Bedingung gewährt, dass der Bedachte auch die Erbschaft annimmt.
Rz. 98
Der durch ein Vorausvermächtnis bindend Bedachte genießt den Schutz des § 2288 BGB gegen lebzeitige Verfügungen des Erblassers. Das Vorausvermächtnis wird im Zweifel gemäß § 2373 S. 1 BGB auch nicht vom Erbteilskauf mit erfasst.
Rz. 99
Das Vorausvermächtnis gehört gemäß § 1973 Abs. 1 S. 2 BGB nach seinem Vollzug nicht mehr zum haftenden Nachlass bei der beschränkten Erbenhaftung. Insofern ist nur noch eine Anfechtung durch die Nachlassgläubiger gemäß § 134 InsO möglich.
Grundsätzlich genießt der Vorausvermächtnisnehmer also einen stärkeren Schutz als der durch eine Teilungsanordnung Begünstigte.
Rz. 100
Es besteht auch die Möglichkeit, dass der Erblasser nur hinsichtlich der Wertdifferenz zwischen zugewandtem Gegenstand und Erbquote ein Vorausvermächtnis anordnet. Hier wird zwar eine gegenständliche Teilung des Nachlasses angeordnet, der Erblasser wünscht aber keine Ausgleichung der hieraus sich ergebenden Wertdifferenz. Es bietet sich hier die Kombination von Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis in der Weise an, dass die Anordnung bis zur Höhe des Wertes des Erbteils als Teilungsanordnung gemäß § 2048 BGB und bezüglich des überschießenden Teils als Vorausvermächtnis gilt.
Rz. 101
Formulierungsbeispiel: Vorausvermächtnis hinsichtlich Wertdifferenz zwischen zugewandtem Gegenstand und Erbquote
Falls ein Erbe durch getroffene Teilungsanordnungen wertmäßig mehr erhält, als es seiner Erbquote entspricht, ist dieser Überschuss als Vorausvermächtnis angeordnet, so dass ein Ausgleich insoweit nicht stattfindet. Das Vorausvermächtnis wird unter der Bedingung der Annahme der Erbschaft angeordnet und fällt erst bei Auseinandersetzung des Nachlasses an.