Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 48
Die Parteien müssen den Streitstoff umfangreich und mit Substanz schriftlich vortragen. Außerordentlich wichtig ist, alle relevanten Tatsachen so früh wie nur möglich dem Gericht mitzuteilen, also schon am besten in der Klageschrift selbst. Grobe Nachlässigkeit gemäß § 296 Abs. 2 ZPO liegt vor, wenn eine Prozesspartei ihre Pflicht zur Prozessförderung in besonders gravierender Weise vernachlässigt, wenn sie also dasjenige unterlässt, was nach dem Stand des Verfahrens jeder Partei als notwendig hätte einleuchten müssen.
Rz. 49
Der Beklagte muss alles, was wichtig ist, in der Klageerwiderung behaupten. Hat eine Partei möglicherweise verabsäumt, etwas Bedeutsames rechtzeitig darzustellen, droht die Nichtberücksichtigung von nachgeschobenem Vorbringen. Die Verspätungsvorschriften der ZPO sehen vor, dass verschleppter Sachvortrag ausgeschlossen wird. Dies gilt insbesondere bei Nichteinhaltung gerichtlicher Fristsetzungen, §§ 273 Abs. 2 Nr. 1, 275 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 und 4, 276 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, 277 ZPO. Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erst nach Fristablauf vorgebracht werden, sind vom Gericht nach § 296 Abs. 1 ZPO nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt.
Rz. 50
Keine Verspätung ist aber in folgenden Fällen gegeben:
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Die Fristsetzung durch das Gericht war unwirksam. Das ist bei bestimmten formellen Mängeln der Fall, u.a. wenn die Mindestfrist von zwei Wochen zur schriftlichen Klageerwiderung verkürzt wurde oder die erforderliche Belehrung über die Folgen der Fristversäumung fehlt. |
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Vorbereitende Maßnahmen des Gerichts fehlen, z.B. hat das Gericht nicht versucht, einen spät benannten Zeugen zum bereits anberaumten Termin noch zu laden. |
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Der eigene Sachvortrag bleibt unbestritten. |
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Die Beweismittel sind präsent (z.B. sistierte Zeugen, sofort mögliche Inaugenscheinnahme), außer wenn durch ihre Nutzung eine weitere Beweisaufnahme erforderlich werden würde. |
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Eine weitere mündliche Verhandlung ist aus anderen Gründen ohnehin erforderlich, etwa wenn ein ordnungsgemäß geladener Zeuge nicht erscheint oder das Gericht nur einen "Sammeltermin" anberaumt hat, zumal dieser ein Verfahren nicht endgültig abschließen soll. |
Rz. 51
Ein Fristverlängerungsantrag ist – abgesehen von nicht verlängerbaren Notfristen – nach diversen Vorschriften möglich und sollte daher gestellt werden, wenn innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist nicht vorgetragen worden ist. Der Fristverlängerungsantrag nebst Begründung und Glaubhaftmachung des Grunds muss vor Fristablauf bei Gericht eingegangen sein; ein Antrag nach Fristablauf ist nicht mehr berücksichtigungsfähig. Auf Antrag können nach § 224 Abs. 2 ZPO richterliche Fristen verlängert werden, wenn erhebliche Gründe glaubhaft gemacht werden. Für eine erste Fristverlängerung reicht regelmäßig die Berufung auf Arbeitsüberlastung des sachbearbeitenden Rechtsanwalts. Der BGH hat dazu entschieden:
Zitat
Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wird, sofern er erhebliche Gründe wie Arbeitsüberlastung oder Urlaubsabwesenheit dargelegt hat.
Der Rechtsanwalt muss sich nicht darüber vergewissern, ob seinem erstmaligen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wurde, wenn er nach dem Inhalt der mitgeteilten Gründe auf eine Verlängerung vertrauen durfte.
Ansonsten ist eine konkret darzulegende (und nicht nur pauschal behauptete) Verhinderung erforderlich, innerhalb der Frist nicht sachgerecht vortragen zu können. Zu beachten ist für eine wiederholte Verlängerung, dass für eine Bewilligung die vorherige Anhörung des Gegners erforderlich ist, § 225 Abs. 2 ZPO.
Wichtiger Praxistipp
Es bietet sich bei Ablauf einer bereits einmal verlängerten Frist und einer erforderlichen erneuten Verlängerung an, zuvor telefonischen Kontakt mit dem gegnerischen Anwalt aufzunehmen und dessen "Zustimmung" einzuholen. Wird dies mit dem zweiten Verlängerungsantrag dem Gericht mitgeteilt, könnte das Gericht sogleich über die erstrebte erneute Verlängerung entscheiden. Dies gilt insbesondere, wenn der Antrag erst am Tag des Fristablaufs (nicht selten per beA nach Schluss der gerichtlichen Geschäftszeiten) gestellt wird, mithin das Gericht die Voraussetzungen für die erstrebte Entscheidung ohne Anhörung des Gegners nicht schaffen kann, anderseits vorher auch nicht bewilligen dürfte. Das Einverständnis des Gegners mit einer zweiten Fristverlängerung bindet das Gericht indes nicht für eine Bewilligung.
Wird die Frist nicht verlängert, kann man sich möglicherweise noch für eine Versäumung einer Frist entschuldigen, also nachvollziehbare Gründe darstellen, weshalb eine rechtzeitige Stellungnahme nicht möglich gewesen ist. Die Entschuldigung ist auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen.
Wurden Fristen versäumt oder droht sonst die Zurückw...