Rz. 189
Führt die Reparatur des Fahrzeuges nicht dazu, dass es in den gleichen Zustand wie vor dem Unfall versetzt wird, dann kann dem Geschädigten über den Reparaturkostenersatz hinaus ein Ausgleich für die verbleibende Wertminderung zustehen. Dabei wird zwischen technischer und merkantiler Wertminderung unterschieden.
a) Technische Wertminderung
Rz. 190
Eine technische Wertminderung liegt vor, wenn trotz durchgeführter Reparatur nicht alle Schäden in technisch einwandfreier Weise beseitigt werden konnten, wenn also trotz erfolgter Instandsetzung des Fahrzeuges noch objektiv wahrnehmbare und nicht zu beseitigende Mängel verbleiben (z.B. Schweißnähte, Passungenauigkeiten, Formabweichungen, Ausbeulspuren oder Farbunterschiede).
Rz. 191
Das ist gegeben, wenn die Gebrauchsfähigkeit, Betriebssicherheit oder das Aussehen des Fahrzeuges nachhaltig und spürbar beeinträchtigt ist (OLG Nürnberg NJW 1972, 2042), nicht jedoch bei geringen Farbunterschieden als Folge durchgeführter Teillackierungen (OLG Frankfurt VersR 1978, 378).
Rz. 192
In Anbetracht der optimalen Reparaturmöglichkeiten der heutigen Fachwerkstätten spielt die technische Wertminderung heute nahezu keine Rolle mehr in der Regulierungspraxis.
b) Merkantile Wertminderung
Rz. 193
Trotz ordnungsgemäß durchgeführter Reparatur bzw. der Verwendung von Neuteilen (AG Chemnitz zfs 2004, 262) kann dem Fahrzeug der Makel eines "Unfallfahrzeugs" verbleiben, der sich im Falle des Weiterverkaufes realisieren könnte (BGH zfs 2005, 127, 129). Der Ersatz des merkantilen Minderwertes soll dem Geschädigten die auch bei Weiterbenutzung des ordnungsgemäß reparierten Fahrzeugs verbleibende Wertdifferenz ausgleichen (BGH NJW 1961, 2253).
Rz. 194
Der Ersatz der Wertminderung ist seit dem Urteil des BGH NJW 1961, 2253 als Herstellungsaufwand i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB anerkannt. Der Eigentümer eines Fahrzeuges ist daher so zu stellen, als wenn er sich noch im Besitze der unbeschädigten Sache befände.
Rz. 195
Für die Bemessung des merkantilen Minderwertes ist der Zeitpunkt der beendeten Instandsetzung maßgebend (BGH NJW 1967, 552). Von diesem Zeitpunkt an ist die Wertminderung auch abstrakt nach § 849 BGB zu verzinsen, falls bis zu diesem Zeitpunkt eine Nutzungsausfallentschädigung geltend gemacht wird (BGH VersR 1983, 555), anderenfalls bereits ab dem Unfalltag.
Rz. 196
Merkantiler Minderwert und entgangener Gewinn wegen unfallbedingter Vereitelung eines Verkaufs des beschädigten Kfz können nebeneinander geltend gemacht werden (OLG Saarbrücken NZV 1992, 317).
Rz. 197
Der merkantile Minderwert erlangt aufgrund immer teurer werdender Fahrzeuge zunehmend an Bedeutung. Seine Beurteilung ist jedoch aufgrund des fiktiven Charakters stets problematisch und führt häufig zu Streitereien mit dem gegnerischen Versicherer.
Rz. 198
Im Kaskoschadensfall ist die Wertminderung bedingungsgemäß nicht erstattungspflichtig (vgl. § 13 Abs. 6 AKB bzw. A.2.13.1 AKB 2008, siehe dazu § 13 Rdn 246). Allerdings ist die unfallbedingte Wertminderung dem Bereich der der Kaskoversicherung zugeordneten unmittelbaren (= "kongruenten") Sachschäden zuzurechnen, was sie zu einer der "quotenbevorrechtigten Schadensersatzpositionen" gem. § 86 Abs. 1 S. 2 VVG macht (vgl. § 6 Rdn 14).
Rz. 199
Arbeitnehmer können die mit ihrem Pkw auf betrieblich veranlasster Fahrt erlittene Wertminderung nicht als Werbungskosten i.S.d. EStG geltend machen, wenn das Fahrzeug tatsächlich repariert worden ist (BFH NJW 1994, 2976).
Rz. 200
Auch dem Eigentümer eines Behördenfahrzeuges, z.B. eines Polizeifahrzeuges, entsteht eine zu ersetzende Wertminderung, wenn das Fahrzeug nach der vorgesehenen Nutzungsdauer verkauft oder versteigert wird (LG Dessau DAR 2002, 72).
Rz. 201
Im Prozess unterliegt der Anspruch auf Wertminderung gem. § 287 ZPO der freien Schätzung durch das Gericht. Insoweit ist es – ähnlich wie beim Schmerzensgeld – möglich, die Höhe der Wertminderung in das Ermessen des Gerichtes zu stellen und somit einen unbezifferten Klageantrag zu stellen (BGH zfs 1982, 78).
Rz. 202
Eine allgemein anerkannte Methode zur Berechnung des merkantilen Minderwerts gibt es nicht.
aa) Methode Ruhkopf/Sahm
Rz. 203
Die überwiegend herrschende Rechtsprechung (BGH NJW 1980, 281, 282 – Grundsatzentscheidung; OLG Karlsruhe VersR 1983, 1065; OLG Köln zfs 1984, 101; LG Hagen zfs 1984, 326; LG Münster DAR 1984, 222; OLG Hamm zfs 1986, 324; DAR 1987, 83; LG Hanau zfs 1991, 233; LG Braunschweig DAR 1994, 202) greift insoweit auf die Berechnungsmethode von Ruhkopf/Sahm (VersR 1962, 593) zurück. Sie wird als "verlässliche Grundlage zur Ermittlung der merkantilen Wertminderung bei Pkw" angesehen (BGH a.a.O.).
Rz. 204
Hiernach ist der Minderwert = x % der Summe von Wiederbeschaffungswert und Reparaturkosten. Obwohl in dem Text der Ausführungen von Ruhkopf/Sahm von "Zeitwert" die Rede ist, ist dieser Begriff als "Wiederbeschaffungswert" zu interpretieren (LG Köln NZV 2001, 175; Palandt-Grüneberg, § 251 Rn 17). Das hat seine Ursache darin, dass es im Jahre 1962, als die Tabelle veröffentlicht wurde, noch nicht üblich war, vom "Wiederbeschaffungswert" z...