Rz. 82
Im Falle einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung kann der Arbeitgeber gem. § 174 Abs. 2 S. 1 SGB IX den Antrag auf Zustimmung nur innerhalb von zwei Wochen stellen, nachdem er von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Für die Kenntniserlangung gelten die Grundsätze des § 626 Abs. 2 S. 2 BGB. Die Vorschrift des § 174 Abs. 2 S. 1 SGB IX verdrängt die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht. Die Fristen des § 626 Abs. 2 BGB und des § 174 Abs. 2 S. 1 SGB IX stehen selbstständig nebeneinander und verdrängen einander nicht. Gem. § 174 Abs. 3 SGB IX muss das Integrationsamt seine Entscheidung innerhalb von zwei Wochen treffen, anderenfalls gilt die Zustimmung – anders als bei der ordentlichen Kündigung – als erteilt. Die Zustimmungsfiktion des § 174 Abs. 3 SGB IX gilt auch für eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist.
Praxishinweis
Da zur Berechnung sowohl der Frist des § 174 Abs. 2 SGB IX als auch der des § 174 Abs. 3 SGB IX der Tag des Antrageingangs beim Integrationsamt maßgeblich ist, sollte besonderes Augenmerk auf den sicheren Zugang sowie dessen beweiskräftigen Nachweis gelegt werden. Die Antragstellung per Telefax ist ausreichend, eine telefonische Antragstellung wegen § 170 Abs. 1 S. 1 SGB IX i.V.m. § 174 Abs. 1 SGB IX unzulässig.
Rz. 83
"Getroffen" ist die Entscheidung, wenn sie innerhalb der Frist des § 174 Abs. 3 SGB IX den Machtbereich des Integrationsamtes verlassen hat. Auf den Zugang beim Arbeitgeber kommt es insoweit nicht an. § 174 SGB IX ist im Verhältnis zu § 171 SGB IX die speziellere Regelung. Auch wenn der Arbeitgeber am letzten Tag der Zwei-Wochen-Frist noch keine Mitteilung vom Integrationsamt erhalten hat, darf er nicht auf die Zustimmungsfiktion vertrauen. Selbstverständlich ist der Arbeitgeber berechtigt, telefonisch beim Integrationsamt nachzufragen, ob seinem Antrag entsprochen wurde. Wird diese Frage bejaht, ist die Entscheidung bekannt gegeben worden und er kann die Kündigung aussprechen.
Rz. 84
Hat der Insolvenzverwalter vor dem Eintritt eines Betriebsübergangs beim Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers beantragt, so kann sich der Betriebserwerber, der diesem Arbeitnehmer kündigen will, nicht wirksam auf den Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes berufen, der nach dem Betriebsübergang nur dem Insolvenzverwalter zugestellt worden ist. Nach Auffassung des BAG ist der Betriebserwerber in diesem Fall nicht "der Arbeitgeber" i.S.d. §§ 170 Abs. 1 S. 1, 171 Abs. 2 S. 1 SGB IX. Der neue Arbeitgeber trete lediglich in die Rechte und Pflichten ein, die er im Zeitpunkt des Betriebsübergangs vorfindet. Zu diesem Zeitpunkt lag jedoch noch keine Zustimmung des Integrationsamtes vor. Die Zustimmung, die nach dem Betriebsübergang erteilt wurde, ging – so das BAG – "ins Leere", weil sie dem nicht mehr kündigungsberechtigten Insolvenzverwalter und nicht "dem Arbeitgeber" erteilt worden war.
Rz. 85
Auch bei der außerordentlichen Kündigung steht die Entscheidung über die Zustimmung grundsätzlich im Ermessen des Integrationsamtes, allerdings soll es gem. § 174 Abs. 4 SGB IX bei fehlendem Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung im Regelfall keine andere Entscheidung treffen als die vom Arbeitgeber beantragte Zustimmung, sofern nicht ein besonderer sachlicher Grund ausnahmsweise eine Abweichung rechtfertigt. Eine dauernde Arbeitsunfähigkeit ist auch bei einem tariflich unkündbaren, schwerbehinderten Arbeitnehmer nicht grundsätzlich als wichtiger Grund i.S.d. § 626 BGB ungeeignet.
Rz. 86
Aufgrund des Umstandes, dass der Arbeitgeber auch vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes einholen muss, bestimmt § 174 Abs. 5 SGB IX, dass die Kündigung auch noch nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen werden kann, wenn die Kündigung unverzüglich, d.h. sofort nach Erteilung der Zustimmung erklärt wird. Die Erklärung ist nicht mehr unverzüglich, wenn sie erst am sechsten Tag nach Erteilung der Zustimmung abgegeben wird. Wird die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung erst vom Widerspruchsausschuss erteilt, muss die Kündigung ebenfalls unverzüglich nach sicherer Kenntnis der Entscheidung erklärt werden. Hierfür reicht die mündliche Bekanntgabe aus, dass dem Widerspruch stattgegeben wird. Sofern die Zustimmung des Integrationsamtes ausnahmsweise schon vor Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB vorliegt, ist der Arbeitgeber berechtigt, diese Frist voll auszuschöpfen.
Rz. 87
Praxishinweis
Da die Zustimmung des Integrationsamtes zu einer außerordentlichen Kündigung nicht in der Weise umdeutungsfähig ist, dass sie auch für eine ordentliche Kündigung gelten soll, sollte aus Arbeitgebersicht bei einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung neben dem darauf gerichteten Zustimmungsverfahren zudem die Zustimmung für den Ausspruch einer ordentlichen Kü...