Patricia Goratsch, Florian Enzensberger
Rz. 36
Grundlegende Voraussetzung für die Wirksamkeit eines jeden Testaments ist die Testierfähigkeit, die in § 2229 BGB geregelt ist. Hierunter ist die Fähigkeit zu verstehen, ein Testament wirksam zu errichten, zu ändern oder aufzuheben. Erforderlich ist hierfür die Einsicht des Erblassers in die Tragweite und Bedeutung seines Handelns. Er muss also zum einen verstehen, dass es sich bei seinem Tun um die Errichtung eines Testaments handelt. Zum anderen muss der Erblasser den Inhalt seines Handelns und damit die wirtschaftliche und persönliche Bedeutung konkret überblicken. Eine nur vage Vorstellung über die Errichtung eines Testaments und seines Inhalts genügt nicht. Dabei geht es nicht darum, den Inhalt der letztwilligen Verfügung auf seine Angemessenheit zu beurteilen, sondern nur darum, ob sie frei von krankheitsbedingten Störungen zustande kommt. Der Testierende muss grundsätzlich frei von Einflüssen Dritter handeln können. Das schließt nicht aus, dass er Anregungen Dritter aufnimmt, und sie kraft eigenen Entschlusses in seiner letztwilligen Verfügung umsetzt.
Rz. 37
Die Testierfähigkeit muss beim Abschluss des Testaments vorliegen. Dieser Moment wird beim privatschriftlichen Testament grundsätzlich zum Zeitpunkt der Unterschrift angenommen. Dies führt zu der Konsequenz, dass ein im Zustand der Testierunfähigkeit errichtetes Testament durch eine erneute Unterschrift im testierfähigen Zustand "geheilt" werden kann.
Rz. 38
Die Testierfähigkeit ist eine im Erbrecht besonders geregelte Unterart der Geschäftsfähigkeit. Dies ergibt sich aus § 2229 Abs. 2 BGB, der die Heranziehung des § 111 BGB auf den minderjährigen Testierfähigen ausschließt.
Rz. 39
Grundsätzlich kann nach § 2229 Abs. 1 BGB ein Testament errichten, wer das 16. Lebensjahr vollendet hat. Allerdings kann der Minderjährige sein Testament nur wirksam als öffentliches Testament durch mündliche Erklärung oder durch Übergabe einer offenen Schrift zur Niederschrift eines Notars errichten (§§ 2233 Abs. 1, 2247 Abs. 4 BGB), während ihm die Errichtung eines privatschriftlichen Testaments untersagt bleibt.
Rz. 40
Ferner sind nach § 2229 Abs. 4 BGB diejenigen Personen testierunfähig, die wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung nicht in der Lage sind, die Tragweite und Bedeutung einer von ihnen abgegebenen Willenserklärung einzusehen und danach zu handeln. Der objektivierbare Befund einer Geisteskrankheit reicht für sich allein nicht aus, um schon daraufhin den Erblasser für testierunfähig zu erklären. Für die Beurteilung entscheidend ist nicht die Diagnose einer organischen Störung, sondern Grad und Ausmaß der nachweisbaren psychopathologischen Auffälligkeiten. Eine diagnostische Zuordnung allein genügt daher nicht; es kommt vielmehr auf Ausmaß und Intensität der psychischen Störung an.
Rz. 41
Als schwierig erweist sich in der Praxis der altersbedingte Wegfall bzw. die altersbedingte Einschränkung der Testierfähigkeit. Es handelt sich hierbei zumeist um alters- oder krankheitsbedingte Demenz, die sich über Jahre hinweg manifestiert und aus medizinischer Sicht schwer zu erfassen ist. Eine konkrete Aussage zur Testierfähigkeit ist häufig sehr schwierig und mit Zweifeln behaftet. Es ist allg. anerkannt, dass bei einer an Altersdemenz leidenden Person die Voraussetzungen der Testierfähigkeit nur aufgrund des Gesamtverhaltens und des Gesamtbilds der Persönlichkeit im Zeitpunkt der Testamentserrichtung festgestellt werden können. Bestimmte Abbauerscheinungen aufgrund der Altersdemenz können durch eine äußere Fassade verdeckt und überspielt werden. Der Testierende muss in der Lage sein, die für und gegen eine letztwillige Verfügung sprechenden Gründe abzuwägen und sich aus eigener Überlegung, frei von Einflüssen Dritter, ein klares Urteil bilden können. Es genügt nicht, dass er überhaupt einen Wunsch äußern oder eine Meinung artikulieren kann. Entscheidend ist vielmehr, dass der Testierende fähig ist, sich die Gründe für und wider seiner Entscheidung zu vergegenwärtigen und sie gegeneinander abzuwägen, sich also selbstständig und aus eigener Kraft ein Urteil zu bilden. Das setzt voraus, dass es ihm bei der Testamentserrichtung möglich ist, sich an Sachverhalte und Ereignisse zu erinnern, Informationen aufzunehmen, Zusammenhänge zu erfassen und Abwägungen vorzunehmen.
Rz. 42
Die Annahme einer Testierunfähigkeit nach § 2229 Abs. 4 BGB muss aber als Ausnahmefall von dem allg. Grundsatz aufgefasst werden, dass jede Person solange als testierfähig gilt, bis das Gegenteil zur vollen Gewissheit des Gerichts bewiesen ist. Dies gilt selbst dann, wenn für den Erblasser eine Gebrechlichkeitspflegschaft oder eine Betreuung bestanden hat.
Rz. 43
Im Rahmen eines Erbscheinsverfahrens hat das Nachlassgericht von Amts wegen zu ermitteln, ob Testierfähigkeit vorlag. Dies geschieht i.d.R. durch Einvernahme von Zeugen, den Erblasser behandelnden Ärzten und die Einholung von Sachverständi...