Rz. 22
Seit seiner grundlegenden Entscheidung vom 2.7.1992 bestimmt der BGH mit einer neuen Formel den Zeitpunkt der Schadensentstehung in den Verjährungsregelungen für Regressansprüche gegen Rechtsanwälte nach § 51b BRAO a.F. und gegen Steuerberater nach § 68 StBerG a.F. Diese Abgrenzung lässt eine bloße Vermögensgefährdung infolge der Pflichtverletzung des Beraters nicht für die Annahme eines Schadens ausreichen.
Rz. 23
Vielmehr entsteht ein Schaden nach dieser Rechtsprechung erst dann, wenn sich die Vermögenslage des Betroffenen durch die Pflichtverletzung des Beraters ggü. seinem früheren Vermögensstand objektiv verschlechtert hat. Dafür genügt es, dass der Schaden wenigstens dem Grunde nach erwachsen ist, mag auch seine Höhe noch nicht beziffert werden können. Es muss nicht feststehen, dass eine Vermögenseinbuße bestehen bleibt und damit endgültig wird; es reicht auch aus, dass ein endgültiger Teilschaden entstanden ist und mit weiteren adäquat verursachten Nachteilen gerechnet werden muss. Ein Schaden ist dagegen noch nicht eingetreten, solange nur das Risiko eines Vermögensnachteils infolge der Pflichtverletzung des Beraters besteht, sodass noch offen ist, ob es tatsächlich zu einem Schaden kommt. Solange sich dieses Risiko nicht verwirklicht, laufen die Verjährungsfristen noch nicht, weil bei der gebotenen wertenden Betrachtung allenfalls eine Vermögensgefährdung vorliegt, die jedenfalls für das Entstehen eines Regressanspruchs noch nicht einem Schaden gleichsteht. Ist nach dieser "Risiko-Schaden-Formel" ein Schaden entstanden, kann und muss der Betroffene die Verjährung eines Ersatzanspruchs verhindern.
Die Außerachtlassung eines Zeitraums der Vermögensgefährdung aufgrund einer wertenden Betrachtung, die im Schadensersatzrecht unumgänglich ist, hat ggü. der herkömmlichen, überholten Abgrenzung die Tendenz, den Verjährungsbeginn in der Beraterhaftung hinauszuschieben. Dies wirkt sich zugunsten des geschädigten Mandanten aus; nach altem Recht gewann er entsprechende Zeit, in der er nähere Kenntnis von der Pflichtverletzung seines Rechtsberaters und deren Folgen erhalten konnte. Andererseits ist diese Wirkung der neuen Abgrenzungsformel auch für den Berater insoweit vorteilhaft, als ein solcher Anspruch nicht vorzeitig – vor dem tatsächlichen Schadenseintritt – gegen ihn gerichtet werden muss. Das Vertragsverhältnis zum Auftraggeber wird nicht zu früh gestört; dieser hat erst von der tatsächlichen Schadensentstehung an ein schutzwürdiges Interesse an einem Rückgriff gegen seinen Berater.
Rz. 24
Dass die neue Formel zur Festlegung des Zeitpunkts des Schadenseintritts den Verjährungsbeginn deutlich verzögern kann, zeigen folgende Entscheidungen des BGH:
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Auf Rat seines Anwalts spricht der Mandant eine unzulässige Teilkündigung eines Vertrages aus. Dies bedeutet eine Vertragsverletzung, die den Vertragspartner berechtigen kann, seinerseits Rechte gegen den Mandanten geltend zu machen. Dieser – allenfalls vermögensgefährdende – Tatbestand ergibt aber noch keinen Schaden des Mandanten infolge des falschen Ratschlags seitens des Anwalts. Ein solcher Schaden tritt vielmehr frühestens und nur dann ein, wenn der Vertragspartner wegen der Teilkündigung Rechte gegen den Mandanten geltend macht, die er sonst nicht hätte. |
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Der Mandant ist noch nicht geschädigt, wenn er einen Vertrag aufgrund eines mangelhaften Entwurfs seines Rechtsanwalts schließt, obwohl von diesem Zeitpunkt ein Anfechtungsrecht des Vertragspartners wegen des fehlerhaften Vertrages besteht. Erst wenn ein solches Recht tatsächlich geltend gemacht, also die Anfechtung erklärt wird, entsteht ein Schaden des Mandanten. |
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Aufgrund eines ungenügenden Vertragsentwurfs seines Anwalts verpachtet der Mandant eine Gaststätte. Dieser ist noch nicht mit Vertragsschluss geschädigt, obwohl der Pächter schon von diesem Zeitpunkt an Minderung des Pachtzinses und Schadensersatz verlangen kann. Vielmehr entsteht der Schaden des Mandanten erst dann, wenn der Pächter tatsächlich solche Rechte geltend macht. |
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Macht der Mandant infolge eines Anwaltsfehlers einem anderen ein ungünstiges Vertragsangebot, so tritt ein Schaden des Auftraggebers "frühestens" mit der Annahme des Angebots ein. |
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Will der Mandant beim Erwerb von Aktien sichergestellt haben, dass diese zum Ende einer Verfügungsbeschränkung einen bestimmten Kurswert nicht unterschreiten, ist der Schaden erst dann entstanden, wenn die Unterschreitung des Werts zum Stichtag gewiss ist. |
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Macht ein Rechtsanwalt im Rechtsstreit seiner Auftraggeber nicht geltend, deren Haftung als Erben sei auf den Nachlass beschränkt (§ 780 Abs. 1 ZPO), und werden diese deswegen zur Erfüllung von Nachlassverbindlichkeiten auch aus eigenem Vermögen verurteilt, so entsteht der Schaden des Mandanten aus dem Anwaltsfehler insoweit nicht bereits mit Erlass des ersten Gerichtsurteils, als es sich um Forderungen gegen den Nachlass handelt, die erst später durch Klageerweiterung in den Proz... |