Frank-Michael Goebel, Dr. Jochen Schatz
Rz. 72
Grundsätzlich unpfändbar (§ 850b Abs. 1 Nr. 1–4 ZPO) sind ferner:
▪ |
Renten, die wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten sind (Nr. 1); |
▪ |
Unterhaltsrenten, die auf gesetzlicher Vorschrift beruhen, sowie die wegen Entziehung einer solchen Forderung zu entrichtenden Renten (Nr. 2); |
▪ |
fortlaufende Einkünfte, die ein Schuldner aus Stiftungen oder sonst aufgrund der Fürsorge und Freigebigkeit eines Dritten oder aufgrund eines Altenteils oder Auszugsvertrags bezieht (Nr. 3); |
▪ |
Bezüge aus Witwen-, Waisen-, Hilfs- und Krankenkassen, die ausschließlich oder zu einem wesentlichen Teil zu Unterstützungszwecken gewährt werden, ferner Ansprüche aus Lebensversicherungen, die nur auf den Todesfall des Versicherungsnehmers abgeschlossen sind, wenn die Versicherungssumme 5.400,00 EUR nicht übersteigt (Nr. 4). |
Rz. 73
Der Zweck der Regelung ist es, die Zwangsvollstreckung in Renten und vergleichbare Bezüge des Schuldners zu beschränken, soweit diese der Existenzsicherung des Schuldners dienen. Die Gesichtspunkte der Existenzsicherung und die berechtigten Interessen des Gläubigers an der – auch zwangsweisen – Durchsetzung seiner titulierten Forderung sind gegeneinander abzuwägen.
Rz. 74
Im Gegensatz zu § 850a ZPO (absolut unpfändbar) handelt es sich hier um relativ unpfändbare Bezüge. Die in § 850b Abs. 1 Nr. 1–4 ZPO angeführten Bezüge sind nämlich nur so lange unpfändbar, wie sie nicht vom Vollstreckungsgericht für pfändbar erklärt sind. Solange indes eine Entscheidung des Vollstreckungsgerichts nicht ergangen ist, sind die Bezüge in voller Höhe unpfändbar.
Rz. 75
Die Vorschrift schützt grundsätzlich auch vor Pfändung durch bevorrechtigte Unterhaltsgläubiger. Die Pfändbarkeit aufgrund Anordnung des Vollstreckungsgerichts (§ 850b Abs. 2 ZPO) gilt nur für den Gläubiger, der den Beschluss erwirkt hat. Dritten ermöglicht er weder die Aufrechnung noch den Forderungserwerb kraft Abtretung. Die Anordnung des Vollstreckungsgerichts kann dann ergehen, wenn die Vollstreckung in das sonstige bewegliche Vermögen des Schuldners zu einer vollständigen Befriedigung des Gläubigers nicht geführt hat oder voraussichtlich nicht führen wird und wenn nach den Umständen des Falles, insbesondere nach der Art des beizutreibenden Anspruchs und der Höhe der Bezüge, die Pfändung der Billigkeit entspricht (§ 850b Abs. 2 ZPO). Billigkeitsmomente zugunsten des Gläubigers können Umstände sein, dass dem Schuldner die zu pfändenden Bezüge gerade auch zur Abdeckung der Bedürfnisse, wegen der vollstreckt wird, gewährt werden (z.B. Unterhalt zur Begleichung u.a. der Wohnungsmiete), der Gläubiger seine Forderung schon sehr lange gestundet und hierfür Arbeit und Kosten aufgewendet hat, er sich in einer Notlage befindet oder jedenfalls wirtschaftlich schlechter dasteht als der Schuldner auch im Fall einer Pfändung. Billigkeitsmomente zugunsten des Schuldners sind etwa, dass der Nutzen des Gläubigers außer Verhältnis zum Schaden steht, den eine Vollstreckung ihm zufügen würde (z.B. Verlust aller Ansprüche aus einem Versicherungsvertrag), die Bezüge gerade ausreichen, um die besonderen Bedürfnisse zu befriedigen, wegen der sie gewährt werden (erhöhte Lebenshaltungskosten wegen einer Körperverletzung) oder der Schuldner sozialhilfebedürftig würde. Gleiches kann für den Fall gelten, dass die Angehörigen des Schuldners bei Pfändung der Ansprüche aus einer auf seinen Todesfall abgeschlossenen Lebensversicherung zur Bestreitung der Bestattungskosten auf Sozialhilfe angewiesen wären. Einen abschließenden Katalog, welcher Gründe für die Billigkeit zugunsten von Gläubiger oder Schuldner benennt, existiert nicht. Es handelt sich immer um eine Einzelfallentscheidung. Die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts hat konstitutive Wirkung, eine Vorpfändung ist daher ausgeschlossen. Das Vollstreckungsgericht soll vor seiner Entscheidung die Beteiligten (Schuldner und Drittschuldner) anhören (§ 850b Abs. 3 ZPO). Ein Verstoß gegen diese Bestimmung führt nicht zur Unwirksamkeit eines erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses.
Rz. 76
Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Pfändung und deren "Billigkeit" im Sinne des § 850b Abs. 2 ZPO hat der beantragende Gläubiger im Einzelnen darzulegen.
Checkliste: Voraussetzungen eines Antrages nach § 850b Abs. 2 ZPO
▪ |
Hat die Zwangsvollstreckung in das sonstige bewegliche Vermögen des Schuldners nicht zu einer vollständigen Befriedigung geführt oder wird voraussichtlich nicht zu einer solchen führen? |
▪ |
Art der beizutreibenden Forderung? Z.B. Anspruch aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung. |
▪ |
Höhe der Forderung des Gläubigers? |
▪ |
Vorliegen einer Notlage des Gläubigers? Vermögensverhältnisse? |
▪ |
Vermögensverhältnisse des Schuldners? Z.B. Nebeneinkünfte oder Gelegenheitsarbeiter. |
▪ |
Höhe und Zweck der zu pfändenden Forderung? |
▪ |
Sonstige Auswirkungen der Zwangsvollstreckung auf Gläubiger und Schuldner? |
Rz. 77
Die Rechtsprechung s...