Rz. 205
Eine gesetzliche Definition der Testierfähigkeit fehlt. Das OLG Frankfurt definiert die Testierfähigkeit wie folgt:
Zitat
"Unter der Testierfähigkeit ist die Fähigkeit zu verstehen, ein Testament zu errichten, abzuändern oder aufzuheben. Sie ist zwar ein Unterfall der Geschäftsfähigkeit, gleichwohl aber unabhängig von ihr geregelt (§ 2229 BGB); vgl. BayObLG FamRZ 1994, 593. Sie setzt die Vorstellung des Testierenden voraus, dass ein Testament errichtet wird und welchen Inhalt die darin enthaltenen letztwilligen Verfügungen aufweisen. Er muss in der Lage sein, sich ein klares Urteil zu bilden, welche Tragweite seine Anordnungen haben, insbesondere welche Wirkungen sie auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen ausüben. Das gilt auch für die Gründe, welche für und gegen die sittliche Berechtigung der Anordnung sprechen. Nach seinem so gebildeten Urteil muss der Testierende frei von Einflüssen etwa interessierter Dritter handeln können (…)."
Rz. 206
Nicht testierfähig sind Personen, die infolge Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage sind, die Bedeutung einer von ihnen abgegebenen Erklärung zu erkennen, § 2229 Abs. 4 BGB.
Dazu das BayObLG:
Zitat
"Nach § 2229 Abs. 4 BGB ist testierunfähig, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Das Gesetz verbindet danach nicht mit jeder Geisteskrankheit oder -schwäche die Testierunfähigkeit, sondern sieht die Fähigkeit, die Bedeutung der letztwilligen Verfügung zu erkennen und sich bei seiner Entschließung von normalen Erwägungen leiten zu lassen, als maßgebend an. Eine geistige Erkrankung des Erblassers steht der Gültigkeit seiner letztwilligen Verfügung nicht entgegen, wenn diese mit der Erkrankung nicht in Verbindung steht, von ihr nicht beeinflusst ist (…). Aufgabe des zur Beurteilung der Testierfähigkeit hinzugezogenen psychiatrischen SV ist es daher nicht nur, den medizinischen Befund einer Geisteskrankheit oder -schwäche festzustellen, sondern vor allem deren Auswirkung auf die Einsichts- und Willensbildungsfähigkeit des Erblassers abzuklären (BayObLGZ 1985, 314, 315). Entscheidend ist, ob die psychischen Funktionen des Auffassens, des Urteilens und des kritischen Stellungnehmens durch die Geisteskrankheit oder -schwäche so sehr beeinträchtigt sind, dass der Erblasser nicht mehr fähig ist, die Bedeutung seiner letztwilligen Verfügung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln (BGH, FamRZ 1958, 127, 128) … Der objektivierbare Befund einer Geisteskrankheit reicht … für sich allein nicht aus, um schon daraufhin den Erblasser für testierunfähig zu erklären. … Für die Beurteilung entscheidend ist nicht die Diagnose einer organischen Störung, sondern Grad und Ausmaß der nachweisbaren psychopathologischen Auffälligkeiten. Eine diagnostische Zuordnung allein genügt daher nicht; es kommt vielmehr auf Ausmaß und Intensität der psychischen Störung an."
Rz. 207
Dies bedeutet zum einen, dass Störungen der Geistestätigkeit für sich genommen noch nicht zwangsläufig zur Testierunfähigkeit führen. Andererseits genügt es dafür, die Voraussetzungen der Testierfähigkeit feststellen zu können, "nicht, dass der Erblasser eine allgemeine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung des Testaments und von dem Inhalt seiner letztwilligen Anordnungen hatte. Er musste vielmehr auch in der Lage sein, sich über die Tragweite dieser Anordnungen, insbesondere auch über ihre Auswirkungen auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen und über die Gründe, die für oder gegen ihre sittliche Berechtigung sprachen, ein klares Urteil zu bilden und nach diesem Urteil frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln". Es reicht nicht aus, dass der Testierende in der Lage ist, die eigenen Bezugspersonen zu erkennen und einfache Sachverhalte zu erfassen.
Rz. 208
Störungen der Geistestätigkeit bilden die Ausnahme, so dass der Erblasser so lange als testierfähig anzusehen ist, wie seine Testierunfähigkeit nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen ist, wobei das Beweismaß kein anderes ist als sonst im Anwendungsbereich von § 286 ZPO. Absolute bzw. mathematische Gewissheit darf, weil nicht erreichbar, nicht verlangt werden. Der Richter darf und muss in tatsächlich zweifelhaften Fällen einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit fordern bzw. sich mit einem solchen begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Letzte, fernliegende und nicht völlig auszuschließende Zweifel sollen der Überzeugung nicht entgegenstehen.
Im Prozess hat die Testierunfähigkeit grundsätzlich derjenige zu beweisen, der sich auf sie beruft.
Eine Betreuung als solche berührt die Testierfähigkeit nicht; auch für den Betreuten besteht die Vermutun...